Dichtgedrängt vor einer Bühne stehen, zusammen mit wildfremdem Menschen zur Musik einer Band oder eines DJs tanzen, sie gemeinsam zu bejubeln oder laut mitzusingen, mitunter auch Moshpits, Stagediving oder Bierduschen – so etwas gehört bei einem Festival dazu. Aber nach vier Wochen Leben in vorsichtiger Distanz kann sich zurzeit sicher kaum jemand vorstellen, da mittendrin zu sein. Daher kam es wohl für die meisten nicht mehr überraschend, als die Verantwortlichen bei Bund und Ländern am Mittwoch beschlossen haben, Großveranstaltungen wegen der Corona-Krise bis zum 31. August zu verbieten. In Münster haben die Veranstalter über verschiedene Kanäle mitgeteilt, dass ihre Events ausfallen. Wir haben Tom Naber (Vainstream Rockfest), Ana Voogd (Münster Mittendrin), Detlef von Rüden (Münster Hafenfest) und Luisa Jesse (Docklands Festival, TakaTuka) gefragt, wie sich diese gesundheitspolitische Entscheidung auf ihre Events auswirkt, auf ihr Publikum, die Musiker und Mitarbeiter – und auch auf sie persönlich.
„Wenn man so eine Nachricht schwarz auf weiß liest, bricht erst einmal eine kleine Welt zusammen und die Gedanken fahren Achterbahn“, bekannte Ana Voogd, die zum siebenköpfigen Team gehört, von dem das Stadtfest Münster Mittendrin organisiert wird, das in diesem Jahr vom 14. bis 16. August hätte stattfinden sollen. „Aber ganz klar – das gilt für uns alle sieben – geht die Gesundheit selbstverständlich vor und wir vertrauen dem Bund, Land und unserer Stadt, dass wir jetzt das Richtige tun“, fügte Ana Voogd hinzu, „innerlich hatte man es immer wieder durchgespielt, was wäre wenn… Für uns kam der Zeitpunkt dann aber überraschend, denn so früh hatte man mit einer definitiven Absage nicht gerechnet“.
„Wir haben schon länger damit gerechnet“, meinte auch Dete von Rüden, der für das Booking beim Hafenfest Münster zuständig ist, „im Kanon der eingeleiteten Maßnahmen und Restriktionen ist ein Verbot von Großveranstaltungen ja auch nachvollziehbar.“ Wenig überraschend kam das Verbot auch für Tom Naber, der zusammen mit Timo Birth das Vainstream Rockfest verantwortet: „Wir haben mit der Entscheidung gerechnet. Wir stehen als Veranstalter voll hinter dieser Entscheidung. Wir haben im Vorfeld aber auch alle möglichen Szenarien durchgespielt, ob man z.B. das Festival später stattfinden lassen kann. Das wird aber alles nicht funktionieren.“ Trotzdem heißt es auf Facebook und vainstream.com nicht „Ausgefallen“ sondern „Verschoben auf 2021“. Wir haben ihn daher gefragt, was das bedeutet, schließlich wäre nächstes Jahr doch ohnehin ein neues Vainstream geplant. „Schöne Frage“, meinte Tom Naber, „wir sind auch schon auf Facebook gefragt worden, ob wir dann in 2021 zwei Festivals stattfinden lassen. Oder ob wir das Vainstream 2020 in 2021 stattfinden lassen und das eigentlich geplante Vainstream 2021 in 2022 verschieben. Wenn man will kann man das natürlich so sehen. Also, wir versuchen das geplante Festival für dieses Jahr – sprich das Line Up – so in 2021 stattfinden zu lassen.“ Auch Münster Mittendrin fällt dieses Jahr laut Ana Voogd komplett aus: „Wir bleiben auf dem dritten August-Wochenende. Das heißt im Umkehrschluss keine Verschiebung, sondern erste Planungen für 2021, genaugenommen für den 13. bis 15. August 2021.“ „Wir prüfen gerade die Möglichkeit einer Verlegung,“ verriet Dete von Rüden für das Hafenfest, fügte aber hinzu: „Das sieht aber terminlich, organisatorisch und finanziell nicht gut aus.“
Da mussten wir natürlich auch fragen, wie die gebuchten Künstler die Nachricht aufgenommen haben und welche Acts die Veranstalter bei einem späterem Termin vermutlich nicht mehr bekommen werden. „Die meisten Bands und Künstler zeigen Verständnis. Gesundheit geht vor. Aber auch hier werden die Existenzsorgen immer heftiger“, antwortete Dete von Rüden. „Leider sind alle Künstler momentan Absagen gewohnt“, sah auch Tom Naber es aus der Sicht der Bands, „es war also auch für unsere Musiker keine große Überraschung. Wir werden vermutlich das Line Up nahezu komplett halten können. Ein Glück.“ So versuchen auch die Veranstalter von Münster Mittendrin für das nächste Jahr zu planen: „Wir haben bereits mit allen Künstleragenturen persönlich gesprochen und eine Verlegung angeboten. Ich habe insgesamt ein gutes Gefühl“, teilte Ana Voogd mit, „Freitag und Sonntag waren wir ja bereits ausverkauft und den Vorverkauf vom Samstag hatten wir wohlweißlich zu den Anfängen von Corona auf Eis gelegt, weil uns das unpassend vorkam. Für den Samstag hatten wir tatsächlich bereits alle drei Gigs beisammen. Das wäre natürlich spannend, wenn wir diesen Tag eins zu eins verlegen könnten.“ Sie rät dazu, ab und an auf dem Facebook-Auftritt von Münster Mittendrin vorbei zu schauen.
Bei den Veranstaltern von TakaTuka und dem Docklands Festival weicht der Tonfall etwas ab. „Wir alle konnten wohl damit rechnen, dass die Politik Großveranstaltungen vorerst zu Recht verbieten würde. Mit einer Untersagung aller Großveranstaltungen bis zum 31. August haben wir allerdings nicht gerechnet“, heißt es in der Antwort von Luisa Jesse, die bei der Dockland GmbH für PR & Social Media Marketing zuständig ist, und die so inzwischen auch als Pressemitteilung herausging. Die Veranstalter dieser Events hätten sich „auch bei Großveranstaltungen etwas mehr Fahren auf Sicht“ gewünscht: „Warum nicht zunächst alle Großveranstaltungen bis Juli absagen und dann Mitte Mai eine neue Prognose geben?“ Sie sehen die Veranlasser für das Verbot bei den „Großen im Geschäft“, wie Live Nation oder CTS, die aus versicherungs- oder haftungstechnischen Gründen von der Politik klare Aussagen verlangt hätten. Die Docklands-Macher sehen trotz allem optimistisch einer späteren und vielleicht kleineren Auflage ihres Festivals entgegen: „Da wir uns sehr gut vorstellen können, das Docklands Festival auch in einem kleineren Rahmen stattfinden zu lassen, und viele Künstler signalisiert haben, eine solche Entscheidung auch hinsichtlich ihrer Gagen mitzutragen, geben wir die Hoffnung nicht auf. Ein kleines, familiäres Docklands Festival nach dem Motto „Back to the Roots“ fänden wir sogar ganz schön spannend.“ Und sie fügen hinzu: „Die bereits erstandenen Tickets behalten natürlich auch für die möglichen Ausweichtermine ihre Gültigkeit.“
Wie sieht es mit den bereits verkauften Tickets für die anderen Großevents aus? Ana Voogd von Münster Mittendrin bittet da um ein bisschen Geduld: „Wir haben bereits Kontakt zu unserem Ticketseller eventim aufgenommen, um Lösungen vorzubereiten. In erste Linie versuchen wir, die gebuchten Konzerte um ein Jahr zu verschieben. Natürlich soll niemand auf den Kosten sitzen bleiben – das ist das Letzte, was wir wollen.“ Und Tom Naber versichert: „Die gekauften Tickets werden Ihre Gültigkeit behalten, sprich man kann damit auf das Vainstream im kommenden Jahr. Wie immer versuchen wir, für das nächste Vainstream ein Schüppe drauf zu legen. Dieses Jahr wollten wir mit unserem Publikum unseren 15. Geburtstag feiern. Das werden wir im nächsten Jahr nachholen – und wir wollen unseren Publikum auch was für Ihre schon jetzt erfolgte Unterstützung zurück geben. Das Vainstream Festival ist halt eine große Familie.“
Wir haben unsere Gesprächspartner auch gefragt, wie viele Menschen, die für sie hinter der Bühne oder bei den Vorbereitungen mitarbeiten, von diesem Verbot betroffen sind und was die jetzt machen. „Betroffen sind alle, die zum Hafenfest beitragen: von Aufbauhelfer bis zum Musiker, vom Ordner bis zum Standbetreiber, vom Schausteller bis zum Grafiker. Das sind in Summe ca. 650 Menschen“, antwortete Detlef von Rüden und fügte hinzu: „Hier stehen Kulturschaffende und Eventarbeiter plötzlich und unverschuldet vor dem Existenz-Aus.“ Tom Naber vom Vainstream Rockfest zog den Kreis sogar noch weiter: „Insgesamt sind es ja ungefähr 500 Leute, die während der Vorbereitung und Aufbauzeit involviert sind. Aufbaucrew, Security, Filmcrew, Fotografen, Catering, Produktionscrew usw., um nur ein paar zu nennen. Da die Branche ja generell zum Erliegen gekommen ist, haben viele von den Genannten schlichtweg momentan keine Arbeit mehr. Von so einem Ausfall ist aber ja nicht nur das größere Team betroffen, sondern auch sehr viele Unternehmen in Münster selbst. Zum Beispiel buchen wir für eine Woche ja direkt mehrere Hotels komplett aus. Oder was wir an Crewverpflegung in der Woche benötigen. Das ist schon einiges. Der Einzelhandel in Münster profitiert so auch stark von dem Festival. Ganz zu schweigen davon, was die Besucher an den Veranstaltungstagen noch in der Stadt ausgeben.“ Ähnliche Auswirkungen stelle auch Ana Voogd für Münster Mittendrin fest: „So eine Absage betrifft die ganze Event-Branche, vom Ton- und Licht-Techniker über die Bühnenbauer, den Stage-Manager, Caterer, Fahrer, Aufbauhelfer, Security, Werbetechniker, Promoter, Sponsoren, Hotels und nicht zuletzt unsere zahlreichen Barkeeper*innen, die uns so kräftig auf den Getränkewagen unterstützt haben. Es hängen so viele Menschen und Jobs an einem Großevent, das man gar nicht alle aufzählen kann. Mit einigen hat man schon gesprochen, mit anderen in den nächsten Tagen… alle wirken zur Zeit sehr gefasst, trotz der finanziellen Not. Bisher gibt es ja noch keine Rettungspläne für die Live-Branche.“
Da mussten wir natürlich die Frage folgen lassen, wie hart das Verbot von Großveranstaltungen die Veranstalter selbst trifft. Und wir fügten die Frage hinzu, was schlimmer war: dass die Entscheidung so ausgefallen ist oder vorher die Ungewissheit, wie es weiter geht? „Also Ungewiss war das ja schon länger nicht mehr“, erwiderte Tom Naber. „Aber als wir am Donnerstag mit der Meldung rausgegangen sind, dass das Vainstream 2020 nicht stattfindet, war schon ein ziemlich unguter Moment. Der erste Sommer seit 2006, dass wir nicht am Hawerkamp zusammen kommen. Jetzt heißt es halt volle Kraft voraus für das Jahr 2021.“ Dete von Rüden litt dagegen auch unter der Ungewissheit: „Es tut schon weh. Seit vielen Monaten hat das Orga-Team des MS Hafen e.V. in vielen verschiedenen Bereichen am Hafenfest geplant. Da steckt viel Herzblut drin. Dieses Werk nun plötzlich vor der Zielgeraden zu stoppen, fällt nicht leicht. Die Unsicherheit der letzten Wochen war fast noch schlimmer. Unsere Planungen mussten ja weitergehen, keiner hatte die große Kristallkugel. Sich in dieser Zeit zu motivieren, war nicht immer einfach.“ Ana Voogd schaut nun für Münster Mittendrin vor allem in die Zukunft: „Hoffnung ist ja im Prinzip nur Unwissenheit. So gesehen ist eine klare Absage, vor allem auch zu so einem frühen Zeitpunkt, eine Erleichterung für uns alle. Man hat einfach Planungssicherheit, in diesem Falle, was Absagen oder Umbuchungen angeht. Man kann sich um alles noch „rechtzeitig“ kümmern. Emotional und sicher auch finanziell trifft es uns schon hart, aber das verdrängt man jetzt fürs Erste. Man darf ja bei allem nicht vergessen, dass wir sieben Gastronomen zur Zeit alle unsere diversen Betriebe geschlossen haben. Da versiegt mit Münster Mittendrin natürlich auch eine weitere Einnahmequelle.“
Befürchten die Festival-Veranstalter langfristige Folgen? Dete von Rüden ist da zurzeit noch pessimistisch: „Es bleibt zu befürchten, dass es in 2020 überhaupt keine Großveranstaltungen mehr geben wird. Das wird viele technische Gewerke, Schausteller, Gastronomen etc. zur Aufgabe zwingen. Die prognostizierte Rezession wird die Suche nach Sponsor-Partnern noch weiter erschweren. Und solange das Virus da ist, werden Besucher eher kritisch auf enge Menschen-Ansammlungen vor Bühnen schauen.“ Optimistischer äußerten sich Ana Voogd („Wir gehen fest davon aus, dass wir uns alle in 2021 wiedersehen werden“) und die Veranstalter des Docklands: „Wir erachten es als selbstverständlich, dass man jeden noch so kleinen Funken Hoffnung auf die vielen lebenswerten Dinge, die wir gerade so vermissen, am Glühen hält.“ Mögliche positive Auswirkungen der gegenwärtigen Krisemachte schließlich Vainstream-Veranstalter Tom Naber aus: „Befürchtungen haben wir so erstmal keine. Wir alle werden aber wohl in Zukunft Momente wie Konzerte, Festivals, egal was für kulturelle Veranstaltungen, intensiver genießen mit der Gewissheit, dass sowas nicht selbstverständlich ist. Das wäre doch dann eine schöne langfristige Folge.“
Glück mit dem eher willkürlich gewählten Termin, bis wann Konzerte und Festivals abgesagt werden müssen, haben die Veranstalter von "Monasteria Rock - 2020". Das Festival soll wie geplant am 4. September im Jovel Club stattfinden: "Eine Absage kommt zum derzeitigen Zeitpunkt für uns nicht in Frage und im Zweifel werden wir eine sinnvolle Terminvariante finden", sagen André Zivic und Jens Ahmann. Mehr Infos findet ihr unter www.monasteria-rock-festival.de.
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