„Missbrauch im Ansatz verhindern“ Nach dem Missbrauchsfall von Münster soll sich nun mehr bewegen – bei der Bestrafung und bei der Vorsorge

Nach dem Missbrauch von mindestens einem Jungen in einer Gartenlaube in Kinderhaus wurden jetzt höhere Strafen für die Täter gefordert. Die Politiker wollen das erfüllen, wichtig ist aber auch die Prävention. (Foto: Thomas Hölscher)
Nach dem Missbrauch von mindestens einem Jungen in einer Gartenlaube in Kinderhaus wurden jetzt höhere Strafen für die Täter gefordert. Die Politiker wollen das erfüllen, wichtig ist aber auch die Prävention. (Foto: Thomas Hölscher)

Viel mehr als sonst in solchen Fällen hat sich verändert, seitdem die Polizei Münster vor zwei Wochen über den Missbrauchsfall informiert hat, bei dem ein Münsteraner und eine Gartenlaube in Kinderhaus im Zentrum der Ermittlungen stehen. Die Politik scheint den Forderungen nach generell härteren Strafen zu folgen, die bundesweite Suche nach weiteren Verdächtigen schreitet voran, die Gartenlaube wurde komplett auseinander genommen – und in Münster gab es erste Demonstrationen gegen Gewalt an Kindern.

Allerdings konnten die beiden Demonstrationen am Samstag Mittag nicht so viele Menschen auf den Schlossplatz oder den Stubengassenplatz locken, wie so manche andere Protestveranstaltung in Münster. Das mag auch daran liegen, dass die Übeltäter normalerweise unbekannt sind. Jedenfalls solange, bis Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln – und das tun sie im Fall von Münster ja offenbar sehr erfolgreich. Die Veranstalter der Demo auf dem Schlossplatz, die „Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e.V.“ forderte in ihrem Aufruf unter anderem „dass sexuelle Gewalt an Kindern und deren Darstellung auf Bild- und Tonträgern endlich das Strafmaß und die Aufmerksamkeit bekommt, die mehr als überfällig ist“. Auch wenn es hier ziemlich ungenau formuliert wurde, sind ähnliche Forderungen seit den Vorfällen in Lügde, Bergisch Gladbach und nun bei uns in Münster immer häufiger geäußert worden, nicht nur in den sozialen Medien. Dem scheinen die Politiker nun zu folgen.

So haben sich die Innenminister der Länder in der vergangenen Woche auf der Innenministerkonferenz (IMK) in Erfurt unter anderem darauf verständigt, dass schwerer sexueller Missbrauch von Kindern hinsichtlich der Schwere des Delikts in Zukunft wie Totschlag eingestuft werden soll. Demnach müsse schwerer sexueller Missbrauch von Kindern und sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge „im Unrechtsgehalt mit einem Tötungsdelikt im Sinne des § 212 des Strafgesetzbuches vergleichbar“ sein. Die Minister fordern, dass die Delikte als „absoluter Haftgrund“ in die Strafprozessordnung aufgenommen werden. Konkret: alleine die Schwere der Tat würde in Zukunft die Untersuchungshaft eines Beschuldigten rechtfertigen. Bisher ist das nur im Bereich der Schwerkriminalität wie Mord oder schwerer Körperverletzung möglich.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht will zudem härtere Strafen ermöglichen. „Wer Kindern sexuelle Gewalt antut, muss mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden – ohne Wenn und Aber“, betonte Lambrecht dazu in einem Pressestatement. „Es muss klar sein, dass das ein widerliches Verbrechen ist und das muss sich auch im Strafmaß ausdrücken.“ Es müsse ein klares Signal von dieser Gesellschaft ausgehen, dass sexueller Missbrauch nicht akzeptiert, sondern mit allen Möglichkeiten bekämpft werde. Um schneller mutmaßliche Täter ermitteln zu können, müssten nach Ansicht der IMK rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden. So sprach sich NRW-Innenminister Herbert Reul für die Möglichkeit der sogenannten Vorratsdatenspeicherung bei Ermittlungen zu Kinderpornografie ausgesprochen. Hier würden Anbieter gesetzlich verpflichtet, Telefon- und Internetverbindungsdaten zu speichern, sodass Ermittler später darauf zugreifen können.

Die Ermittlungen schreiten voran: inzwischen 18 Tatverdächtige 

Aktuell hat sich im münsteraner Missbrauchsfall die Zahl der Verdächtigen und Opfer erhöht. So gibt es derzeit 18 Tatverdächtige aus mehreren Bundesländern und sechs Opfer im Kindesalter, wie Reul im Innenausschuss des Landtags erklärte. Sieben Verdächtige befinden sich in Untersuchungshaft. Ursprünglich sprachen die Ermittler von drei Opfern im Alter von 5, 10 und 12 Jahren. Wenige Tage später teilte die Polizei mit, dass die Väter von zwei weiteren Kindern Anzeige erstattet hatten. Die Vorwürfe richteten sich hier jedoch nicht gegen den Hauptbeschuldigten Adrian V. aus Kinderhaus. Der Fall des sechsten Opfers werde noch ermittelt. Inzwischen sind rund 400 Terabyte Foto- und Videomaterial erfasst worden, 76 Ermittler arbeiten derzeit in der eingesetzten Ermittlungskommission an der Auswertung der Daten. Für die Polizisten seien die psychischen Belastungen enorm, so Reul weiter.

Am 14. Juni wurde der Tatort, die Gartenlaube in Kinderhaus, ein letztes Mal gründlich untersucht und dabei Stück für Stück auseinander genommen. (Foto: Thomas Hölscher)
Am 14. Juni wurde der Tatort, die Gartenlaube in Kinderhaus, ein letztes Mal gründlich untersucht und dabei Stück für Stück auseinander genommen. (Foto: Thomas Hölscher)

Die Gartenhütte der Mutter von Adrian V. in der Kleingartenanlage „Am Bergbusch“ in Kinderhaus gilt nach wie vor als Haupttatort, hier haben sich nach Auskunft der Staatsanwaltschaft in mindestens einer Tatnacht mindestens vier Beschuldigte an zwei Jungs über Stunden vergangen. Am vergangenen Wochenende hatte das THW Münster in Amtshilfe für die Polizei die Laube Stück für Stück abgerissen, um so mögliches Beweismaterial zu sichern. Die Parzelle Nr. 30 soll offenbar nicht neu bebaut werden. Vielmehr plant der Kleingärtnerverein an der Stelle, die von der Polizei mittlerweile wieder freigegeben ist, eine öffentliche Grünfläche mit einer Streuobstwiese.

Die Politiker der Stadt sparen nicht mit Aussagen, dass Kinder in Zukunft besser vor Missbrauch geschützt werden müssen. So forderte am Freitag die kinderpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Josefine Paul aus Münster: „Kinderschutz muss von den Kindern aus gedacht werden. Kinder und Jugendliche müssen ernst genommen und in Verfahren gehört werden. Für die Aufdeckung von Missbrauch und schon bei Missbrauchsverdacht braucht es mehr Sensibilisierung und Zusammenarbeit. Im vorliegenden Fall zeigt sich wieder, dass die Schnittstellen zwischen den zuständigen Behörden besser und verlässlicher vernetzt werden müssen.“ In die gleiche Kerbe schlug auch Dr. Michael Jung, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Stadtrat Münster: „Es wird wirklich höchste Zeit, dass wir den eigentlich Geschädigten, nämlich den missbrauchten Jungen, in den Blick nehmen. Es muss aufgearbeitet werden, wieso das Jugendamt nicht viel früher zum Schutz des Jungen tätig geworden ist, sondern in öffentlichen Stellungnahmen selbst sicher ausgeschlossen hat, dass ein Fall wie in Lügde sich auch in Münster ereignen könne.“ Nun müsse die gesamte Arbeit auf den Prüfstand und insbesondere geklärt werden, wie die Kooperation von Jugendamt, Kitas und Schulen verbessert werden könne: „Das Jugendamt muss in seiner Arbeit viel näher an die Kinder und Jugendlichen heran und Konzepte entwickeln, wie Missbrauch schon im Ansatz verhindert werden kann.“

Hinweis:

Du hast in deiner Kindheit oder Jugend sexuellen Missbrauch erlebt? Du bist aktuell davon betroffen oder kennst jemanden, der Hilfe benötigt? Dann findest du Informationen über Beratungsangebote und weitere Hilfen unter https://www.hilfeportal-missbrauch.de und beim "Hilfetelefon Sexueller Missbrauch" unter 0800-22 55 530 (kostenfrei und anonym)

 

5 Kommentare

  1. Endlich, endlich, endlich. Auf die Straße. Mehr kann ich nicht sagen bzw. Schreiben. Weil ich vor weinen nichts mehr sehen kann.

    Annerose Hoppe

    1. Sehr geehrte Frau Hoppe, wenn Sie sich morgen bei unserer Veranstaltung zu erkennen geben, als die Dame die auf ALLES MÜNSTER öffentlich zu Ihren Gefühlen steht, dann gebe ich Ihnen sehr gerne das Mikrofon und Sie können bitte auch Ihre Entrüstung an unsere Teilnehmer und die vielen Zuschauer/Zuhörer weitergeben. Denn nur so werden die Menschen vielleicht auf ein wenig sensibler zu diesem sehr belastenden, und schier nicht auszuhaltenden Thema „Sexualisierte Gewalt an Kindern“ (Kindesmissbrauch). Und sollten Sie es mmorgen nicht schaffen, wir demonstrieren weiter, immer weiter, bis Münster uns hört.
      Ihnen alles Gute.
      Mark Bellinghaus & das Team von Saturdays for Children, Münster

  2. Dies ist unser neuester Flyer, so wie wir ihn auch per Hand in ganz Münster verteilen, und ihr würdet es nicht für möglich halten, was für zynische Bemerkungen wir uns tatsächlich beim Anbieten an die Menschen, uns anhören müssen.
    Ich wünsche keinem dieser Leute, dass eines Tages deren eigene Kinder mal Betroffene von sexualisierter Gewalt geworden sind.

    Dies ist KEINE WERBUNG!
    Es ist vielmehr ein Hilfeschrei.
    Ein stummer Schrei. Von zwei Jungs, (erst 5&10 Jahre alt), und vielen anderen Opfern, die hier in Münster, in einer gruseligen Gartenlaube in Münster-Kinderhaus sexuell missbraucht, gequält und dabei auch noch gefilmt wurden!

    Wir gehen seit unserer Gründung jede Woche auf die Straße, für diese Jungs & alle Opfer und für ein besseres Kinderschutzgesetz, und gegen KINDESMISSBRAUCH!
    Wenn die Täter erst im Gericht sitzen, dann werden wir jeden Tag vorm Gericht für deren Höchststrafe demonstrieren.

    Bitte kommen auch Sie am Samstag um 12:00 Uhr zum Stubengassenplatz in Münster und beteiligen Sie sich an unserer Veranstaltung, und bitte gehen Sie mit uns durch Münster, auf einer friedlichen Demo
    für ein besseres Kinderschutzgesetz,
    denn Kindesmissbrauch muss als Verbrechen und nicht nur als „Vergehen“ bestraft werden, damit unsere Kinder wieder etwas sicherer leben können, in dieser Stadt, und allen anderen Städten, auch!
    Für mehr Info über uns: http://www.saturdaysforchildren.com
    oder: 015906277799
    Wir freuen uns schon Sie zu treffen und kennenzulernen!

    Mark Bellinghaus & das Team von Saturdays for Children, Münster
    Termine sind jeweils Samstags, immer um 12:00 Uhr: 11.07.20, 18.07.20, 25.07.20, 01.08.20, 08.08.20, 15.08.20, 22.08.20, 30.08.20 usw.

  3. Hallo lieber Ralf & Thomas,
    schade dass Ihr nicht auch über unsere sehr energetische Veranstaltung mit anschließender Demo durch Münster berichten konntet. Aber wir sind ja am Schluss auch auf den Schlossplatz gestoßen und haben uns mit der von Euch beschriebenen Veranstaltung sozusagen vereint.
    Es sollte in Bezug auf das Thema sexualisiert Gewalt an Kindern, Gewalt an Kindern, und den weitreichenden, vielfachrigen Problemen die es nun leider im Bereich ‚Kriminalität gegen Kinder‘ gibt, wirklich zusammengehalten werden. Jedenfalls wäre das für die Zukunft wirklich ein schönes und auch sehr wichtiges Ziel.
    Wir laden Euch, also ‚ALLES MÜNSTER‘ und auch alle Leser, welche Interesse an unserer Veranstaltung mit anschließender Demo durch Münster haben hiermit recht herzlich ein doch vorbeizukommen und mitzumachen.
    Dieses fürchterliche Thema kann gar nicht genug diskutiert werden, so wichtig ist es.
    Wir treffen uns am Samstag, 11.07.2020 beriets zum 5. Mal in Folge und es geht weiter. Sind wir letzten Samstag durch das schöne Kreuzviertel gegangen, so wird es diesmal durch die beliebte Altstadt Münsters gehen. Wir werden diesen Event zu einer Institution machen, bei dem jede Woche ein anderer „Promi“ teilnehmen wird, und unser wichtiges Anliegen unterstützen wird.
    Man wird sehen, dass Münster etwas tut, gegen dieses schlimme Verbrechen sexualisierter Gewalt an Kindern, was sich in perversester Form in einer gruseligen Gartenlaube in MS Kinderhaus abgespielt hat. Wir demonstrieren für die kleinen 5 & 10 Jahre alten Opfer, denn Gott sei Dank leben sie noch, und wurden nicht ermordet, wie so viele andere Opfer von Kindesmissbrauchs.
    Bitte kommt, seid dabei und lasst uns alle was positives tun. Denn nur gemeinsam sind wir auch stark.
    Mark Bellinghaus und das Team von Saturdays for Children, Münster
    http://www.saturdaysforchildren.com

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