Münster – Mariupol Die Kolumne "Hausfrau & Mutter, berufstätig" wird fortgesetzt! / Unsere Autorin knüpft dabei an eine wahre Geschichte vom April 2022 an

Mariupol trifft Münster (Foto: privat)

Im April 2022, zwei Monate nach Kriegsbeginn durch Putin auf die Ukraine, nutzte Iris Brandewiede mit der Kolumne „Mariupol – Münster – und nicht zurück“ unsere Reichweite, um die Suche nach einem Zuhause für ein Ehepaar aus Mariupol und ihre Haustiere zu unterstützen. Seither ist viel Wasser die Aa hinabgeflossen, übergangsweise haben Natascha und Oleksandr eine schöne Wohnung gefunden. Der Krieg tobt weiter, und die Suche nach einer dauerhaften Bleibe dauert an.

Ende März 2022 brechen Natascha und Oleksandr von ihrem frisch renovierten Haus mit Hafenblick in Mariupol mit einem Bruchteil ihrer Habe und schier unendlichen Mengen an Tierfutter zu einer fast vierzigstündigen Autofahrt auf. Jemand im Freundeskreis glaubt zu wissen, dass Tierliebe in Deutschland sehr großgeschrieben wird. Ab da ist das Ziel für die beiden klar. Eine Freundin, welche die Landessprache beherrscht und örtliche Gepflogenheiten in der Muttersprache vermitteln kann, gibt den Ausschlag für Münster. Am Ende der langen Reise steht die bittere Erkenntnis, dass in Notunterkünften keine Tierhaltung erlaubt ist.

Wir haben uns just als Pflegestelle für eine Katze bei der örtlichen Behörde registriert. Samstagsmorgens stehen eine völlig übernächtigte Natascha und ich uns mit zitternden Knien an der Oxford-Kaserne gegenüber. Münsteranerin Olga, die bereits Nataschas junge Katzendamen aufgenommen hat, vermittelt mir die groben Fakten zu den drei alten Katern. Dann eilt sie weiter zu Oleksandr, der mit Tränen in den Augen einem freundlichen Paar Spielzeuge und Leinen seiner jungen Hündin überreicht. Eine städtische Mitarbeiterin unterstützt den notwendigen Papierkram für die Pflegestellen. Natascha und ich umarmen einander und tauschten Handynummern aus. Dann nehmen wir Abschied.

Für Natascha und Oleksandr beginnt die härteste Zeit in ihrem Leben. Für meine Lieben und mich beginnt das Leben mit ungeahnt wunderbaren Hausgenossen. Und mit neuen, herzlichen Freundschaften.

Natascha und ich halten per Messenger und Übersetzungs-App regelmäßig Kontakt. Ich schicke typische Alltags-Szenen mit den Katern. Natascha füllt die Bilder mit Anekdoten über die alten Herren sowie weiterer Tiere – offenbar war sie jahrzehntelang der Geheimtipp innerhalb der Szene heimatloser Katzen ihrer Heimatstadt.

Nebenbei berichtet Natascha über ihr neues Leben, ihre Motivation, die unglaublich schwierige Sprache schnellstmöglich anzuwenden, ihre Dankbarkeit gegenüber Deutschland und die Sorge und Verzweiflung über die Zerstörung ihrer Heimat. Es ist unendlich viel zu regeln, zu organisieren, zu lernen. Ab und zu schauen Natascha und Oleksandr bei uns vorbei und beglücken ihre Schätzchen mit Spielzeug und Futterbergen.

Patchwork auf tierische Art. (Foto: privat)

Wir reden mit Händen, Füßen und Apps. Wir trinken Tee und lachen über die Macken der Tiere. Wir schauen Fotos und werden still beim Anblick des zerstörten und geplünderten Hauses in Mariupol, einer jungen Natascha vor dem Drama-Theater Oblast Donezk.

Nach zwei Monaten finden die beiden Neumünsteraner eine schöne Wohnung auf dem Land – die Wiedervereinigung mit Hündin Vesta, den Katzendamen Mascha und Dascha und dem neunjährigen Kirjusha folgten. Den beiden ältesten Katern, Kusza und Fila, möchte niemand einen Umzug zumuten, zumal ein befristeter Mietvertrag keine dauerhafte Perspektive bietet.

Liebe geht durch den Magen (Fotos: privat)

Kaum mit einer eigenen Küche ausgestattet, beginnt Natascha für alle zu backen und zu kochen, die ihren Tieren Gutes getan haben. Seither gibt sie mit Hering im Pelzchen oder Zwiebelfleisch Einblicke in die herzhafte Küche ihrer Heimat und kreiert mit leichter Hand Vegetarisch-Mediterranes. Auf dem Boden ihrer Profession als Ingenieurin erschafft sie ein beeindruckendes Bauwerk der Backkunst nach dem anderen.

Natascha bestätigt das deutsche Sprichwort „Liebe geht durch den Magen“, denn inzwischen sind alle dick befreundet. Wer einmal ein Stück des Backwerks „Ruine des Grafen“ oder zwei Stücke Kiewer Torte hintereinander gegessen hat, weiß was ich meine. Dazu gehört unter anderem unser 81jähriger Katzensitter, der in unserem Urlaub extra verwöhnt wurde.

Geburtstagskind mit kulinarischem Gabentisch (Foto: privat)

Ihren Geburtstag feiert Natascha in diesem Sommer mit allen an der Tierpflege Beteiligten. Dabei absolviert sie bereits die Hälfte der Konversation auf Deutsch. Oleksandr lässt sich eine mehrsprachige Lobhudelei seiner Frau nicht nehmen. Auf der soliden Grundlage fünf internationaler Gerichte, gefolgt von Kiewer Torte, Kirschtorte und Cremetörtchen Anna Pawlowa, üben wir gemeinsam den traditionellen Dreischritt aus einem Stück Salzgurke, gefolgt von einem Schluck Vodka, gefolgt von etwas Brot mit Speck (den lass‘ ich weg) – köstlich!

Kurzum: Zwei alte Kater haben eine dauerhafte Bleibe bei uns gefunden, sechs Erwachsene erweitern den Freundeskreis. Wir staunen in größtem Respekt über die unfassbare Kraft von Natascha und Oleksandr, das Gute zu sehen, das Beste aus dem neuen Leben zu machen.

Und deshalb nochmal die Bitte an euch, liebe Leserinnen und Leser: Wenn ihr ein dauerhaftes Zuhause mit ca. 70 Quadratmetern anbieten könnt, in dem Tierhaltung erlaubt ist, oder einen Tipp geben könnt – schreibt gern eine Mail an die Redaktion!

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