Münster gafft nicht, Münster spendet Blut Das vorbildliches Verhalten der Münsteraner nach der Amokfahrt war Thema einer Übung

Die Workshops fanden in den von den Teilnehmern zuvor aufgebauten Zelten statt. Hier wird die Reanimation im medizinischen Zelt geübt. (Foto: Michael Bührke)

Viele interessierte Laien und Fachleute übten am Samstag auf dem Gelände des Universitätsklinikums Münster (UKM) den Massenanfall von Verletzten (MANV). Denn das war Thema der 33. Praxisübung des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe. Anlass dafür ist die Amokfahrt am Kiepenkerl. Münster habe sich in jeder Hinsicht vorbildlich verhalten, sagte der Leiter des Zentrums, Prof. Dr. Joachim Gardemann.

Zelte aufbauen, triagieren, reanimieren und nebenbei ein Wasserausgabezelt aus ein bisschen Holz und einem Sack Werkzeug bauen. Die Teilnehmer der 33. Praxisübung des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe packten an und lernten dann in den selbst aufgebauten Zelten, in zahlreichen Workshops, von Experten und Erfahrenen, viele interessante und nützliche Dinge. Die Erstversorgung und das Sichten und Einteilen von Verletzten beispielsweise.

Mehr als 180 Teilnehmer, mit den Einsatzkräften waren es über 200, kamen am Samstag auf der Wiese vor der UKM-Psychiatrie zusammen. „Bei dieser Übung gab es das bisher größte Interesse, das liegt sicher am Thema“, vermutete Professor Gardemann, der neben seiner Lehrtätigkeit, in der Entwicklungsarbeit aktiv ist. Das Thema der Übung war der Massenanfall von Verletzten (MANV) am Beispiel der Amokfahrt am Kiepenkerl. „Es ist in Münster vorbildlich gelaufen, man kann es nicht besser machen“, schwärmte der Experte für Krisenmanagement mit allem nötigen Respekt für das Geschehene, „nicht nur seitens der Professionellen, sondern auch seitens der Bevölkerung. Münster gafft nicht, Münster spendet Blut. Damit sind wir berühmt geworden.“

Gaben bei der Praxisübung ihr Wissen und ihre Erfahrung weiter: (v. l.) Prof. Dr. Joachim Gardemann und Univ.-Prof. Dr. Michael J. Raschke. (Foto: Michael Bührke)

Jedes Jahr sucht Gardemann ein neues Thema für die Praxisübung. „Als wir aus Afrika zurückkamen, war es Ebola“, erklärte der Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen.

Die Übungen sind für alle Interessierten offen, gekommen sind vor allem Medizinstudenten, Krankenschwestern, Anästhesisten, aber auch „Laufkundschaft, Menschen, die zufällig vorbeikommen“. „Für manche öffnet es den Weg, wenn sie den Wunsch haben, in eine Hilfsorganisation zu gehen. Dadurch sammeln sie Erfahrungen. Ich bekomme oft Mails von ehemaligen Studenten, aus Uganda oder woher auch immer. Sie schreiben, dass ich sie auf die Idee gebracht habe, in der Entwicklungshilfe zu arbeiten.“

Drei Architekturstudentinnen hatten die Aufgabe, eine Wasserausgabe aus nicht mehr als ein paar Materialien zu bauen. Eine Plane, ein bisschen Holz, ein paar Werkzeuge. (Foto: Michael Bührke)

Prof. Dr. Ute von Lojewski, Präsidentin der FH Münster und Univ.-Prof. Dr. Michael J. Raschke, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, waren auch am simulierten Einsatzort. Raschke berichtete zwischen den Workshops von der Amokfahrt am Kiepenkerl, davon, wie er es erlebte und von dem Krisen- und Alarmplan des UKM. „Irgendwann war klar, dass wir den sogenannten MANV auslösen müssen – den „Massenanfall von Verletzten“. Zuerst wusste der Mitarbeiter, den ich bat, den MANV auszulösen, gar nicht, was die Abkürzung bedeutet“, erinnert sich Professor Raschke, „man löst damit den Katastropheneinsatzplan aus, bei dem genau hinterlegt ist, wer was zu tun hat. Jeder Mitarbeiter, der dort gespeichert ist, bekommt eine Nachricht aufs Handy. Eine Stimme sagt: «Achtung, Massenanfall von Verletzten, bitte begeben Sie sich zur Einsatzstelle.» Keiner weiß erst, wo die Einsatzstelle ist.“

In der Chirurgie seien sie räumlich nicht für einen MANV ausgestattet, erklärte der Direktor der Unfallchirurgie, so dass in den Bettentürmen eine Notfalleinsatzstation (NES) eingerichtet worden sei. „Das Ereignis war 15.27 Uhr, die Alarmierung 16.09 Uhr und dann sind innerhalb kürzester Zeit 250 Menschen – Pflegepersonal, Ärzte, IT-Spezialisten, OP-Personal, Verwaltungs-Mitarbeiter – gekommen.“ Sein Fazit des Ablaufs fiel positiv aus, sie hätten auch noch mehr Verletzte behandeln können. Gott sei Dank, seien es aber nicht mehr gewesen. Aber ein Opfer, das noch immer im UKM behandelt würde, ringe nach 35 bis 40 Operationen, die er seitdem über sich ergehen lassen musste, immer noch mit dem Leben, berichtete Dr. Raschke.

Am 7. April fuhr ein 48-Jähriger mit seinem Campingbus in eine Menschenmenge auf der Außenterrasse am Kiepenkerl-Platz. Er verletzte 20 Menschen zum Teil schwer, zwei waren sofort tot, der Täter erschoss sich selbst. Polizei und Rettungskräfte waren schnell vor Ort, die Krisenpläne der Krankenhäuser funktionierten, sogar nicht gefordertes Personal wollte helfen, auch viele Münsteraner wollten etwas tun und gingen kurzerhand zum Blutsspenden. Das schreckliche Ereignis löste in Münster eine Welle der Hilfsbereitschaft aus.

Und es gibt eine rührende Geschichte, die sich im Zusammenhang mit diesem Tag ereignete. Zwei der Opfer, die Münster an diesem Tag aus Niedersachsen besuchten, nahmen den Moment zum Anlass, sich zu verloben und heirateten noch in Münster, in der Raphaelsklinik, in der sie erfolgreich behandelt worden waren.

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