Wie wir versucht haben, unsere Wohnung zu retten Magda Mayerhoffer hat die Überschwemmungen in Hagen am eigenen Leib erfahren müssen

Ein Bild der Verwüstung am Morgen nach der Überflutung (Screenshot: Magda Mayerhoffer)
Ein Bild der Verwüstung am Morgen nach der Überflutung (Screenshot: Magda Mayerhoffer)

Unsere Kolumnistin Magda Mayerhoffer ist 2020 mit ihrem Freund von Münster nach Hagen gezogen. Eigentlich wollten die beiden Münsteraner noch bis Mitte August dort bleiben und ihren nächsten Lebensabschnitt in Ruhe vorbereiten: Sie haben ein altes Segelboot am Mittelmeer gekauft, planen als digitale Nomaden online zu arbeiten und Kitesurfunterricht vor Ort zu geben. Aber dann, vier Wochen vor ihrem Umzug aus der Wohnung aufs Boot, kam alles anders als erwartet und sie sind von heute auf morgen wieder zurück nach Münster gezogen. Hier kommt ihre Geschichte.

Es hätte ein total gemütlicher Sommerferienabend werden können. Weil wir in vier Wochen auf ein Segelboot in Südfrankreich ziehen, lösen wir gerade unseren kompletten Hausstand auf und haben den ganzen Nachmittag Anzeigen bei Ebay-Kleinanzeigen reingesetzt. Wir hatten geplant später gemütlich einen Film zu schauen, der Regentag war perfekt dafür.

Vorher, gegen 18.00 Uhr, haben wir aber erst noch einen kleinen Regenspaziergang gemacht, den Wasserstand der Lenne bestaunt und gespannt beobachtet, was sie so alles herangespült hat. Wir konnten nicht ahnen, dass wir ähnliche Bilder nur Stunden später in unserem eigenen Keller sehen würden…

Zurück zuhause haben wir kurz noch in den Keller geschaut. Just in case, weil es in anderen Stadtteilen am Tag vorher Überschwemmungen gegeben hatte. Aber es lief nur ein klitzekleines Bächlein durch den Kellerflur, das Grundwasser wurde durch die alte Wand reingedrückt, wie schon öfter. Nichts Ungewöhnliches bei dem Wasserstand der Lenne. Als wir später nochmal in den Keller geschaut haben, war es schon etwas mehr. Aber noch immer kein Grund zur Sorge. Unsere Sachen standen genau deswegen auf Paletten. Was wir nicht wussten: Das sollte erst der Anfang sein…

„Scheiße, das Wasser kommt!“

Als aus der Straße ein Fluss wurde... (Screenshot: Magda Mayerhoffer)
Als aus der Straße ein Fluss wurde… (Screenshot: Magda Mayerhoffer)

Gegen 20.00 Uhr haben wir eine Nachbarin draußen rufen hören. So etwas Ähnliches wie „Scheiße, das Wasser kommt!“. Ziemlich schnell stand dann die ganze Nachbarschaft auf der Straße und hat sich das Naturschauspiel angesehen: Von woher auch immer kam ein kleiner Bach die Straße um die Ecke geflossen. Und man konnte dabei zugucken, wie er breiter wurde, wie er wirklich schnell breiter wurde. Kurz drauf kamen Nachbarn von weiter weg um uns zu warnen. Wir sollten irgendwie versuchen die Häuser abzudichten, das Wasser würde sehr schnell steigen und wäre bei ihnen schon in die Keller gelaufen. Wir konnten das in dem Moment noch gar nicht so richtig glauben. Aber wir mussten es glauben, bei uns im Keller kam das Wasser nämlich auch langsam unseren Sachen auf den Paletten näher und es war leider sehr schnell absehbar, dass wir alles Wichtige retten mussten. Also haben wir die Sachen aus dem Keller erstmal eine Etage höher in unsere Erdgeschosswohnung gebracht. Zum Glück hatten wir nicht viel im Keller gelagert.

Wie ein böser Traum, nur, dass man nicht aufwacht

Draußen war das Wasser mittlerweile an der Bordsteinkante angekommen – das hätten wir noch vor einer Stunde niemals für möglich gehalten. Wir dachten die ganze Zeit, dass wir das alles nur träumen. Es war total unwirklich, dass das gerade wirklich alles passierte. Trotzdem haben wir wie automatisch angefangen, unsere Häuser irgendwie zu schützen. Jeder hat angeschleppt was an nutzbarem Material zu finden war und dann haben wir einen niedrigen Deich aus Streusalzsäcken gebaut. Zu dem Zeitpunkt konnten wir uns noch gar nicht vorstellen, dass das Wasser überhaupt auf den Bordstein hochkommen würde. Aber es kam. Und es kam schnell. Und mit dem Wasser auf der Bordsteinkante kam dann auch der Moment, in dem wir alle den Ernst der Lage so richtig realisiert haben. Und dann sind wir echt schnell geworden – und kreativ. Wir hatten auch gar keine Hemmungen mehr: Saubere Handtücher, frisch gewaschene Bettwäsche, sogar die schöne Sofadecke musste dran glauben. Und der Sandkasten vom Nachbarskind. Den haben wir in schwarze Säcke geschaufelt und damit den Damm auf dem Bordstein und in der Hofeinfahrt höher und breiter gebaut. Als der Sandkasten leer war, haben wir mit dem Kies aus dem Vorgarten weitergemacht. Und als wir keine Säcke mehr hatten, haben wir den Kies einfach in Kisten geschaufelt, in Wäschekörbe, in Katzenklos, egal in was.

Eine Weile ging das noch gut, und wir haben irgendwie noch immer die Hoffnung gehabt, dass das Wasser einfach aufhören würde zu steigen. Aber das Wasser wollte nicht aufhören. Also haben wir in den Erdgeschosswohnungen die kompletten Regale und Schränke von unten nach oben umgeschichtet und Möbel aufeinandergestapelt. Laptops und alle wichtigen Unterlagen und Wertsachen haben wir zu Nachbarn in die zweite Etage in Sicherheit gebracht.

Und dann kam was kommen musste. Unsere Dämme sind langsam aber sicher gebrochen. Und wenn man an dem Punkt angekommen ist, kann man zwar noch versuchen, die weggespülten Säcke irgendwie wieder zu stapeln, aber das ist ein Kampf, den man einfach nicht gewinnen kann. Wir konnten also nur noch hilflos zuschauen und versuchen zu realisieren, dass das gerade wirklich passiert ist. Die Fluten haben sich ihren Weg in den Keller schneller gesucht als wir gucken konnten, schneller als wir Sandsäcke um die Fensterschächte stapeln konnten. Die Fensterschächte wurden zu Wasserfällen und dann lief der Keller wirklich schnell voll. Spätestens als wir dann gesehen haben, wie das Wasser nur noch eine Handbreit unter der Kellerdecke stand, ist uns ziemlich mulmig geworden. Da haben wir so richtig verstanden, wie schnell Menschen bei Hochwasser im Keller ertrinken können. Aber wir hatten keine Zeit um weiter darüber nachzudenken. Wenn das Wasser im Keller bis zur Decke steht, ist das Erdgeschoss nämlich als nächstes dran. Zuerst sind aber noch die Sicherungen rausgeflogen, in allen Wohnungen, aber erstaunlicherweise nicht im Hausflur. Also haben wir mit der Handylampe nach Kerzen gesucht, um in den Wohnungen noch ein bisschen Licht zu haben. Das war irgendwann gegen 23.30 Uhr.

Draußen vor dem Haus waren die überspülten Sand- und Salzsäcke auf den Bordsteinen und vor den Kellerfenstern mittlerweile nutzlos geworden. Also haben wir sie umgeschichtet, in die Haustüre und vor den Kellerabsatz. Das Wasser ist mit zunehmender Überflutung zwar langsamer angestiegen, aber es ist trotzdem immer weiter gestiegen. Und obwohl die dicken Dämme in der Haustüre das Wasser gut abgehalten haben, standen im Hausflur trotzdem plötzlich Pfützen. Woher kamen die nur?

Das Wasser drückte aus dem gefluteten Keller durch die Fliesen ins Erdgeschoss (Screenshot: Magda Mayerhoffer)
Das Wasser drückte aus dem gefluteten Keller durch die Fliesen ins Erdgeschoss (Screenshot: Magda Mayerhoffer)

Sie kamen aus den Fugen zwischen den Fliesen, aus den Spalten zwischen dem Laminat, sie kamen einfach aus jeder Ritze: Das Wasser hatte sich tatsächlich durch die Kellerdecke durchgedrückt. Tja, und das war’s dann. Den gesamten Boden abzudichten war utopisch, also haben wir uns mit den Kerzen bewaffnet und noch mehr Sachen aus den gefluteten, dunklen Wohnungen in die zweite Etage gerettet. Das Wasser stand mittlerweile knapp 30cm hoch in unserer Erdgeschosswohnung, das Laminat im Wohnzimmer hat sich ganz unangenehm unter unseren klatschnassen Gummistiefeln gebogen, fast wie ein Trampolin, und es hat überall sehr gruselig geblubbert wie man es sich auf einem sinkenden Kreuzfahrtschiff vorstellt. Irgendwie hatten wir auch Angst, dass der wabbelige Boden etwas mit der Stabilität (oder viel mehr Instabilität) des Hauses zu tun hatte. Und ab einem gewissen Zeitpunkt haben wir dann beschlossen, unsere Wohnung ihrem Schicksal zu überlassen, uns ein Bier aufzumachen und dem Wasser zuzuschauen. Etwas anderes blieb uns auch nicht wirklich übrig. Irgendwann nach 2.00 Uhr war der Wasserstand dann stabil, und wir so k.o., dass wir neben unseren geretteten Sachen bei unserer Nachbarin im 2. Stock auf unseren Isomatten direkt eingeschlafen sind.

Die Verwüstung am nächsten Morgen

Am nächsten Morgen wurde das wahre Ausmaß der Überflutung deutlich (Screenshot: Magda Mayerhoffer)
Am nächsten Morgen wurde das wahre Ausmaß der Überflutung deutlich (Screenshot: Magda Mayerhoffer)

Das Ausmaß der Flut konnte man erst am nächsten Tag so richtig verstehen. Es hat uns und unsere Nachbarschaft wirklich heftig getroffen, unsere Möbel können wir größtenteils wegschmeißen, die Autos unserer Nachbarn haben alle Totalschäden, die Wohnungen im Erdgeschoss sind unbewohnbar und die Renovierung wird Wochen oder Monate dauern. Dazu kommt, dass man Häuser am Fluss nicht gegen Elementarschäden versichern kann. Eine finanzielle Katastrophe also für alle Vermieter in unserer Straße.

Wir kannten solche Aufnahmen, wie wir sie in der Nacht selbst gemacht haben, bisher nur aus dem Fernsehen. Man sieht diese Bilder in den Nachrichten, denkt sich „Oh shit, die Armen…“ während man gemütlich auf dem Sofa sitzt und in die Chipsschale greift. Und am nächsten Tag hat man es schon fast wieder vergessen. Aber wenn man so etwas selbst erlebt hat, vergisst man das so schnell nicht mehr. Wenn man plötzlich in diesem Albtraumszenario steht und leicht panisch überlegt, woraus man am besten einen Damm vor der Wohnungstür aufschichtet, dann ist das plötzlich alles sehr real. Irgendwie sind wir aber trotzdem dankbar: Wir hatten genug Zeit um alle Dinge zu retten, die uns wichtig waren. Unser Haus ist nicht eingestürzt, unsere Straße wurde nicht weggespült. Und vor allem ist niemandem von uns etwas Ernsthaftes passiert.

In Gedanken sind wir bei den Opfern der Flut und ihren Angehörigen. Im Vergleich ist unser Schaden absolut harmlos.

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