Wenn eine eine Reise tut… Der Autorin unserer Kolumne "Hausfrau & Mutter, berufstätig" haben Sonne und Meer mitten in der Sommerpause eine Geschichte vor die Füße gespült

Völlig gelassen und entspannt – vom Aufgang der Sonne… (Foto: privat)

Wenn eine eine Reise tut…
… in die Sonne des Südens, wo reife Orangen vom Baum fallen und liebestolle Zikaden im tausendjährigen Olivenhain ihr aufdringliches Liedlein singen – dann kann sie was erzählen.

Die großen Kinder wiederum können ein Liedchen von der Mitteilsamkeit der Alten singen.
Sie sind zur Feier der familiären Herdenimmunität mitgereist. Dank intensiver Sonneneinstrahlung südländisch milde gestimmt, lauschen sie den Ausführungen der Mutti.
Wir blenden direkt in die Szene hinein.
Das Dorfcafé am späten Vormittag. Die Familie probiert sich durch die Frühstückskarte. Als Aperitif besticht frisch gepresster Orangensaft mit einem Aroma, das die Synapsen mitten im Sommer Silvester feiern lässt. Die Mutter schwärmt von der traditionellen Zubereitung des hiesigen Mocca. Neugierige schnuppern am erdigen Getränk, Mutige probieren. Sie wählen doch lieber Coldbrew mit Hafermilch.

Eine üppige Bestellung ist in Arbeit. Die Mutter lässt die Familie an einer langen Windung ihres Erinnerungslabyrinths teilhaben. Als junge Erwachsene, just so alt wie die jungen Damen heute, bereiste sie schon einmal dieses schöne Land. Mit Hilfe eines Fischers ließ sich ihre verrückte Reisegruppe auf einer einsamen Insel aussetzen, kochte Nudeln in Meerwasser und nutzte nach kulinarischem Misserfolg die Sole immerhin zur Körperhygiene. Die aktuelle Reisegruppe rümpft die Nasen, dann entspannen sich die Züge: Das internationale Frühstück ist da. Vom Gebäckstück mit hiesiger Orangenmarmelade über joghurtgefüllte Honigmelone bis zum Spiegelei mit Bacon bleiben keine Wünsche offen.

Gerade schildert die Mutter, weiterhin unterwegs auf Memory Lane, den Frisurenstyle zum damaligen Schlabber-Look, weltrettend „öko“ genannt… Die Mutter verstummt abrupt. Die Familie schaut auf.
Wie aufs Stichwort quert ein Original-Exemplar der eben beschriebenen Moderichtung das Blickfeld!
Wallende weiße Lockenpracht trägt der Mann mit dem sonnengegerbten Gesicht zum ergrauten Ziegenbart, dazu eine Wickelhose in sonnigem Gelb, Ton in Ton mit dem Batik-Shirt. Um Hand- und Fußgelenke baumeln reichlich Muschel- und Lederarmbändchen.
Modeexpertin Nummer eins murmelt: „Man kann’s auch übertreiben mit der Farbe…“
Sie selbst trägt einen Wickelrock, dem Beinkleid des Oldtimers nicht unähnlich, gemustert mit der endemischen Wasserschildkröte. Modeexpertin Nummer zwei trägt wie ihre Schwester ein dezent weißes Top zur Batikhose, welches Wespentaille und Sonnenbräune unaufdringlich zur Geltung bringt. Sie ergänzt „Ein Bändchen hätte auch gereicht…“ Der Liebste murmelt diplomatisch, immerhin habe der gute Mann viele Jahre Zeit zum Sammeln gehabt.
Die Familie schwelgt schweigend mampfend.

Der Lockenmann bestellt mit leicht schwäbischem Zungenschlag einen traditionellen Mocca – so weit kann ich mit meinen rudimentären Sprachkenntnissen folgen. Dann parliert er mit dem Kellner in der Landessprache – wie mit einem alten Freund! Beeindruckt widme ich mich dem opulenten Mahl.

Am frühen Abend in der Taverne. Sonnenverwöhnt, vom langen Schwimmen erschöpft und salzüberkrustet sitzen wir unter einem Strohdach, die Füße im Sand. Hühner scharren an den Wurzeln der Olivenbäume, Katzen halten sie im Blick. Wir freuen uns auf Salat, Käse und Wein.

... bis zu ihrem wildromantischen Niedergang. (Foto: privat)
… bis zu ihrem wildromantischen Niedergang. (Foto: privat)

Ein VW-Bus fährt vor. Eine achtköpfige Gruppe purzelt heraus. Sieben Frauen und ein Mann mittleren Alters tragen locker fallende Batik-Kleidung in allen Farben des Regenbogens und Strohhüte auf dem Kopf, dazu kleine Staffeleien oder große Fotoapparate. Mit Ohs und Ahs verteilen sie sich eilends entlang des Ufers und wenden sich dem Sonnenuntergang im Meer zu.
Ein Mann in Sonnengelb verschließt den Bulli mit der Aufschrift „sonneninsel.akademie“ und lässt sich am Nachbartischchen nieder. Ihn kennen wir schon.
Der Ellenbogen der Kleinen piekst schmerzhaft in meine Rippen. „Da hat einer alles richtig und sein Hobby zum Beruf gemacht“ raunt der Liebste mit leicht neidischem Unterton. Salat und Wein sind da.

Sundra Youkup, erfahre ich auf der Homepage des schwäbischen Bildungsinstitutes, hat auf einer Pilgerreise im Himalaya nicht nur das Sonneninsel-Yoga, sondern auch das Sonneninsel-Reiki erfunden. Diese Methoden ganzheitlicher Selbstheilung hat der patente Yogi sich patentieren lassen und „im buntesten Lehrbuch aller Zeiten“ festgehalten, wie ein Follower verspricht. Aus diesem lehrt Meister Sundra nun sommers auf der Insel. Gleichgesinnte ergänzen das Angebot um Aquarellkunst, Fotographie, Ausdruckstanz und vieles mehr. Eine Woche mit frei wählbaren Kursen inklusive Unterbringung im Doppelzimmer ist in der Hochsaison für tausend Euro zu haben.

„Mama – Handy weg beim Essen, geht’s noch..?“ mahnt die Große. Mit leisem Stolz auf das Ergebnis meiner Medienerziehung werfe ich das Telefon zurück in die Strandtasche. Wir tunken fluffiges Brot in Olivenöl und hauen rein.

Gut gesättigt schlüpfen wir mit sandigen Füßen in die Sandalen, lösen den Blick vom spiegelglatten Meer und machen uns an Hühnern, Katzen und Olivenbäumen vorbei auf den Weg zurück ins Dorf. Der farbenfrohe Yogi bleibt noch sitzen. Er sieht zufrieden aus. Wir können ihn gut verstehen.

Iris Brandewiede veröffentlicht ihre Geschichten-Bände im agenda-Verlag Münster.
Mehr dazu auf https://agenda.de und auf der Seite der Autorin https://irisbrandewie.de.

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