„Ich bin mehr als nur mein Rollstuhl!“ In der 6. Folge unserer Serie „Herzensangelegenheiten“ treffen wir die 26-jährige Imashi

„Auch mit meiner Einschränkung bin ich sexy“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
„Auch mit meiner Einschränkung bin ich sexy“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

An dieser Stelle treten in einer zweiten Staffel unserer Empowerment-Serie monatlich junge Erwachsene auf die Bühne. Sie verfolgen ihre Herzensangelegenheiten, überwinden Barrieren mit Mut und Konsequenz. Fotografin Ingrid Hagenhenrich hat einen unvergleichlich liebevollen Blick auf die Menschen vor ihrer Kamera. Sie nimmt sich Zeit, jede Persönlichkeit auf eigene Art zu portraitieren. Iris Brandewiede gibt ihren Worten Raum. In der sechsten Folge staunen wir mit der 26-jährigen Imashi Schumann aus Münster über die Freude am Modeln und das Erwachen neuer Lebenslust.

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Als ich das Bild gesehen habe, dachte ich: „Wow, ich kann auch sexy!“ Viele Menschen mit Narben oder mit einer Einschränkung haben Selbstzweifel: Aber wenn du deine Makel nicht als Makel nimmst, sondern dich traust, dich zu zeigen, und wenn du das unterstreichst, was Besonders an dir ist – dann kommt das Selbstbewusstsein! Das macht dich zu einer starken Persönlichkeit.

Nicht ich fühle mich behindert, aber ich werde häufig behindert, durch die Menschen, die tagtäglich um mich herum sind. Menschen ohne Einschränkungen am Bahnhof zum Beispiel, die sich vordrängeln oder als Erste in den Aufzug wollen. Sie könnten die Treppe nehmen, selbst wenn der Aufzug kaputt ist, und daher finde ich es unverschämt. Ich habe auf Reisen schon sehr oft erlebt, dass ein Aufzug kaputt war. Wenn das passiert, warte ich einen Moment und atme durch, um erstmal runterzukommen. Dann spreche ich meist junge Menschen an, am liebsten gleich zwei, von denen ich denke, die sind fit. Ich frage ganz nett, ob sie mich mit meinem Rollstuhl die Treppe runtertragen können.

Dabei habe ich weniger Angst, wenn fremde Menschen mich tragen – eher mache ich mir Sorgen, dass ich nicht vom Fleck komme. Wenn man reist und irgendwo festhängt und nicht mehr weiterweiß, ganz auf sich allein gestellt, fühlt sich das echt blöd an. Wenn keine fitten Menschen in der Nähe sind, bitte ich jemand, bei der Deutschen Bahn zu fragen, ob das Personal mir helfen kann. Oft genug haben sie keine Treppenraupe und empfehlen mir, eine Station weiter oder wieder zurückzufahren. Das sind die Barrieren.

„Beim Shoppen gebe ich meiner femininen Seite den letzten Schliff“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
„Beim Shoppen gebe ich meiner femininen Seite den letzten Schliff“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Das Wort „behindert“ nehmen viel zu viele Menschen einfach so als Schimpfwort in den Mund, ohne darüber nachzudenken. Ich finde es nicht gut, das einfach so zu sagen, obwohl es eine tiefe Bedeutung hat. Ich hab eine Einschränkung.

Auch Frauen wie ich können und dürfen besondere Unterwäsche tragen! Es ist gut, und es sieht verführerisch aus – damit gebe ich meiner femininen Seite den letzten Schliff. Ich gehe in einen Laden, schaue die Dessous an und probiere sie auch gerne an – wenn es denn eine barrierefreie Umkleide gibt.

Wenn ich mich in dem großen Spiegel anschaue, wird mir bewusst, dass ich mit all meinen Narben schön bin. Ich liebe mein Spiegelbild. Neulich habe ich etwas Besonderes ausprobiert, in rosa, das ist meine Farbe. Ich habe mich im Spiegel gesehen und habe zu mir selbst gesagt: Wow, was bin ich für eine krasse Frau!“

Daten ohne Berührungsängste. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
Daten ohne Berührungsängste. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Beim Daten habe ich keine Berührungsängste. Im Online-Dating finde ich es gut, zwei, drei Tage kurze Texte hin und her zu schreiben, um zu spüren, ob es so matcht. Dabei spiele ich direkt mit offenen Karten, ich verheimliche meine Einschränkung nicht, sondern erkläre sie. Daraufhin gehen einige über meine Grenzen, indem sie indiskrete Fragen stellen und manchmal auch eklige Dinge fragen. Es kann vorkommen, dass jemand so fetischmäßig unterwegs ist und einfach nur „jemand mit Behinderung“ daten möchte. Das geht natürlich für mich gar nicht: Ich bin ja nicht meine Einschränkung – und ich bin mehr als nur mein Rollstuhl!

Wenn es zum Treffen kommt, sage ich zur Sicherheit meinen engsten Freunden Bescheid, wo ich mich aufhalte, und verabrede eine Zeit, zu der ich mich melde. Den Rest regle ich allein. Beim ersten Treffen und beim ersten Blick merke ich, ob es kribbelt oder nicht. Wenn es kribbelt, trifft man sich weiter und lernt sich besser kennen.

Wenn es bei einer Begegnung nur oberflächlich beim Sex bleibt und nicht tiefer geht, dann finde ich das sehr schade. Ich habe Menschen kennengelernt, die können den sogenannten sexuellen Akt gar nicht ausführen – aber es gibt doch so viele andere Möglichkeiten! Es wäre doch blöd, wenn die von vornherein beim Daten ausscheiden. Dass es um viel mehr als Sex geht, um den Charakter, um das, was jemand im Kopf hat, sehen viele Menschen eben nicht. Wenn es nach einigen Treffen dann doch nicht so passt, und es ist ein sehr lieber Kerl, gebe ich mir echt Mühe, ganz vorsichtig klarzumachen, dass es für mich nicht weiter geht.

Ich selbst suche eher nichts Lockeres. „Heute den, morgen den“ ist überhaupt nicht meine Art. Ich bin ein Mensch, der ankommen will und nicht nur im Moment lebt – ich wünsche mir was Festes für die Zukunft. In der Vergangenheit habe ich schlimme Erfahrungen gemacht, aber jetzt fängt mein Leben wieder an. Ich bin bereit für den Neustart.

"Beim Shooting kann ich ich sein“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
„Beim Shooting kann ich ich sein“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Mein großer Bruder hat mich früher schon mit einer Fotokamera fotografiert, es gibt sehr süße Bilder von mir auf dem Schlitten im Schnee. Da sieht man schon, wie viel Spaß ich als Model am Posen hatte! Als Kindergartenkind habe ich mich sehr gerne geschminkt, habe mir richtig Lidstriche mit Eyeliner gezogen und fand mich toll! In der Schulzeit wurde immer gesagt: „Du bist unglaublich fotogen!“ – da habe ich es erst richtig wahrgenommen.

Ich lasse mich wirklich sehr gerne fotografieren. Wenn ich mich in Szene setzen kann, vergesse ich meine Einschränkungen total, fühle mich gut und hebe meine Schönheit hervor. Ich komme aus meiner Komfortzone raus, und wenn jemand beim Fotografieren sagt, „Du siehst wunderschön aus“, dann strahle ich sofort, und sehe später erstaunt: Das bin ich!

Wir Frauen sind stark. Wir sind sexy. Wir dürfen uns schön machen und schön fühlen. Wir müssen uns nicht einschüchtern oder runterziehen lassen. Das passiert vielen Frauen – auch mir ist das passiert. In einer sehr schwierigen Phase habe ich mich verloren und es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Aber ich habe nicht aufgegeben und wieder zu mir gefunden. Ich bin eine starke Frau, und jetzt kann ich wieder ich sein!

Imashi bei Instagram: @imashi.schu

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Andrea Corinna Schöne, Journalistin und Aktivistin mit Schwerpunkten Inklusion und Feminismus "bei Behinderung": @schoeneandrea 
Anne Gerstorff und Karina SturmStoppt Ableismus! 
Raul Krauthausen (https://raul.de/): DER AKTIVIST für Barrierefreiheit und Wertschätzung von Diversität 

Zu den Autorinnen:

Instagram-Account von @ingridhagenhenrich 
Homepage von Ingrid Hagenhenrich https://ingrid-hagenhenrich.com/
Instagram Account von @irisbrandewie.de 

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