Masematte als immaterielles Kulturerbe? Marion Lohoff-Börger, die Autorin unserer Kolumne "alles jovelino", engagiert sich für die Anerkennung von Münsters Sondersprache als UNESCO-Kulturerbe

"Jovel" ist eins der Massematte-Wörter, das auch in Münster neu Zugewanderte schnell lernen. (Foto: Stephan Günther)
„Jovel“ ist eins der Massematte-Wörter, das auch in Münster neu Zugewanderte schnell lernen. (Foto: Stephan Günther)

Ist die Kaline nerbelo? Soll das ein Scherz sein? Verarscht die uns? Nee, wat für ein Tinnef! Dat wird nichts. Das kann gar nicht funktionieren! Never! Also doch nerbelo, verrückt, Frau Lohoff-Börger?

Im April diesen Jahres, Coronablues hin oder her, entschloss ich mich, die Bewerbung Masematte als immaterielles Kulturerbe anzugehen. Wie kam es dazu? Und warum macht das Sinn? Nachdem ich mir heute rückblickend sehr viel Arbeit gemacht habe, alles ehrenamtlich versteht sich, glaube ich jeden Tag mehr, dass es ömmes eine jovle Idee war, mich dieser Mammutaufgabe gestellt zu haben.

Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Masematte. Bisher hat sich noch niemand systematisch und umfassend mit ihr befasst und dabei alle wichtigen Aspekte der komplexen Kulturform wahrgenommen. Ich habe eine unübersichtliche, ja teils widersprüchliche Gemengelage vorgefunden: Besserwisserei und Hickhack bei den Sprechenden, Vereinnahmungen durch „Intellektuelle“, viel verbrannte Erde… und viele Emotionen, von Scham über Enttäuschung bis hin zu offener Wut und Aggressionen (auch mir gegenüber). Für die einen ist sie eine Spaßsprache, für die anderen etwas, wofür man sich schämt. Die dritten vermeintlich „echten Münsteraner*innen“ tragen sie mit stolzgeschwellter Brust vor sich her und erzählen jedem, dass man nur dazugehört, wenn man hier geboren ist und Masematte spricht.

Nur wenige erinnern sich, dass Münster die ursprünglichen Masemattesprecher*innen mit dem Holocaust verloren hat und drei Sprecher*innenviertel bis auf eines, Klein-Muffi, von Bomben zerstört wurden. Es gibt ein Wörterbuch, dessen Herausgeber für viel Unmut und Ärger in Münster gesorgt hat. Die Spitze des Eisbergs zeigt Jürgen Kehrers Wilsberg-Krimi „Wilsberg und der tote Professor“, über den sogar 2003 der Spiegel berichtete. Versuche, Online-Wörterbücher ins Netz zu stellen, sind allesamt gescheitert. Ein münsteraner Verlag gibt jährlich Bücher auf Masematte heraus, alles andere wird an den Rand gedrängt und das nicht nur in den Buchhandlungen.

Masematte sei tot, so sagte man mir. Aber warum hört man sie auf der Ewaldistraße in Mochum, auf Preußen bei Fangruppen, warum machen immer mehr Läden auf, die Masemattenamen haben (Kneisterei, Homebeis), warum wird die Masematte von der 60+ Generation zelebriert und vehement verteidigt? Und vor allem: Warum hat jeder Münsteraner und jede Münsteranerin, ob hier geboren oder nicht, nach kurzer Zeit mindestens sechs Masemattewörter im Wortschatz (Leeze, jovel, schovel, Kaline, Seegers, es meimelt)?

Mit dem Satz "Eben hamelst jovel verkasematukeln!" wirbt der Laden "Korn und Knierfte" für seine Backwaren und andere Leckereien. (Foto: Thomas Hölscher)
Mit dem Satz „Eben hamelst jovel verkasematukeln!“ wirbt der Laden „Korn und Knierfte“ für seine Backwaren und andere Leckereien. (Foto: Thomas Hölscher)

Masematte wird im Verborgenen gesprochen. Eins ihrer Merkmale von ihren Anfängen 1850 als sich Fahrende in Münster niederließen an ist, dass sie im Geheimen gesprochen wurde und dass Inhalte verdunkelt werden sollten. Dieses Merkmal führte aber zu einer Kriminalisierung der ganzen Sprecher*innengruppe, denn wen man im spießig-bürgerlichen Münster nicht verstand, der konnte nichts Gutes im Schilde führen. Masemattesprecher*innen standen unter Generalverdacht. Über ihre Viertel rümpfte man wortwörtlich die Nase: In Klein-Muffi stanken oder muffelten die Menschen angeblich. Um diesem Vorurteil mit Stolz entgegenzuwirken, gaben die dort lebenden Bewohner*innen ihrem Viertel einen anderen Namen: Mochum (jiddisch: Dorf, Stadt).

War die Masematte tatsächlich eine reine Männersprache? Wurde und wird sie nur innerhalb Münsters gesprochen? Warum lachen Leute spontan, wenn sie mehr als drei Masematte-Wörter in einem Satz hören? Fragen über Fragen. Auf manche habe ich Antworten gefunden, auf viele noch nicht. Manches kann ich ahnen, anderes ist mir vollkommen unverständlich.

Inzwischen passt für das Verhältnis zwischen mir und der Masematte folgendes Bild gut: Sie ist wie ein alter kranker (ja, manchmal auch stinkender) Hund, der sich bei mir vor die Tür gesetzt hat. Er scheint niemandem zu gehören. Bleibt sitzen, wenn auch halbtot! Kümmert sich hier niemand? Nein? Ist da jemand, der zuständig ist? Nein. Also musste ich wohl ran.

Viele der ursprünglichen Massematte-Sprecher wurden in den Lagern Riga, Ausschwitz und Theresienstadt umgebracht. (Foto: Thomas Hölscher)
Viele der ursprünglichen Massematte-Sprecher wurden in den Lagern Riga, Ausschwitz und Theresienstadt umgebracht. (Foto: Thomas Hölscher)

Was den Ausschlag für meine Initiative, die Masematte zu einem lebendigen Sprachdenkmal in Münster zu machen, gegeben hat, ist die Tatsache, dass in Münster, wenn Masematte in welcher Form auch immer ein Thema ist, der Holocaust nicht mitgedacht wird. Masematte wird oft ohne Sinn und Verstand kommerzialisiert und verkommt schlimmstenfalls zu einer Spaßsprache, bevor sie endgültig ohne Würde sterben wird. Ein Beispiel ist das superteure Holzspielzeug „konifez“ (schlappe 229 €!), was man mit einem Säckchen spielt. Koni ist zwar der Sack, aber im Sinne von Hoden! Na, dann hamel Jontev, ihr Fitzkajöner!

Sogar zynisch scheint mir persönlich der Umgang mit der Kulturform Masematte, wenn sie, wie aktuell, für ein Monopoly-Spiel benutzt wird. Sind doch die ursprünglichen Sprecher*innen Menschen gewesen, die zu denen zählten, die von Armut, sozialen und psychischen Problemen betroffen waren. Sie wohnten unter schlechtesten Bedingungen ghettoartig in engen Vierteln. Das hat den Dickbälgern (Reichen) und Stadtplanern beim Wiederaufbau nach Nationalsozialismus, dem Holocaust und der Zerstörung Münsters doch jovel gemasselt, dass sie die Halbkarötter (Armen) und die Pattjacken (Fremden), die noch da waren oder neu kamen, in die Vororte verbannt hatten. Die ursprünglichen Kulturträger*innen, Menschen jüdischen Glaubens oder mit Roma-Wurzeln und die sogenannten „Asozialen“ kamen ja nicht zurück, weil sie in den Lagern Riga, Ausschwitz und Theresienstadt umgebracht worden waren. Monopoly kann und konnte man in Münster schon vor seiner Erfindung jovel spielen, denn eine Schlossallee, nein Annette-Allee (plus Himmelreich!!!) und eine Parkstraße, nein ein Prinzipalmarkt, machen Münster nur für einen elitären Teil der Menschen zur „lebenswertesten“ Stadt.

Ein Fall von "sinnfreiem Kommerz" mit Spuren von Masematte? (Foto: Thomas Hölscher)
Ein Fall von „sinnfreiem Kommerz“ mit Spuren von Masematte? (Foto: Thomas Hölscher)

Ich will, dass die Masematte als Kulturform in ihrer wechselvollen Geschichte wahrgenommen wird. Ich will, dass sie geschützt wird vor akademischen Vereinnahmungen und sinnfreiem Kommerz. Ich will, dass sie ähnlich wie das Plattdeutsche gepflegt und an kommende Generationen in ihrer komplexen und wunderbaren Widersprüchlichkeit, mit ihrem Sprachwitz und ihrer Einzigartigkeit weitergegeben wird. Und dann tatsächlich für alle ein Identitätsmerkmal sein kann.

Und genau das geschieht, wenn Kulturformen zum Kulturerbe ernannt werden! Jemand brachte mich auf die Idee, mir im Internet die Seiten der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe anzuschauen und je länger und intensiver ich mich mit den Kriterien, Voraussetzung und Konsequenzen beschäftigt hatte, desto größer erschien es mir ein äußerst sinnvolles Unterfangen, diese Bewerbung anzugehen. Die vielen Fragen, die man dafür beantworten muss, erschienen mir als jemand, die mit vielen Facetten der Masematte vertraut ist, als eine spannende Herausforderung. Mal gucken, ob ich das Attribut „Masematteexpertin“ wohl verdient habe.

Mit folgendem Problem schlug ich mich zuerst herum:

In der "Kneisterei" gibt es nicht nur was zu kneistern. (Foto: Kneisterei)
In der „Kneisterei“ gibt es nicht nur was zu kneistern. (Foto: Kneisterei)

Ist Masematte eine Sprache oder ist sie eine Kulturform? Sprachen werden nicht anerkannt! Das ist der Haken! So Frau Dr. Harnack von der Uni Paderborn, die mich von der offiziellen Seite seit Monaten betreut. Das zweite Problem: Welche Vereine und Institutionen würden mein Anliegen unterstützen? Wen könnte ich dazu bewegen? Wer käme für die zwei notwendigen Gutachten in Frage? Wie kann ich eine möglichst große Teilhabe der Kulturträger*innen der Masematte als Kulturform herstellen? Wie komme ich an das Video- und Audiomaterial, das man mit einsenden kann, um zu beweisen, dass die Kulturform existent ist?

Nachdem ich jede dieser Fragen für mich auf ihre Machbarkeit hin geklärt hatte, entschloss ich mich mit meiner Idee an die Öffentlichkeit zu gehen. Und siehe da, eine kontroverse Diskussion kam in Gang. Und auch die niederschmetternden Reaktionen, die ich am Anfang dieses Artikels schrieb. Um ehrlich zu sein: Ein bisschen nerbelo muss die Kaline ömmes sein, um so ein ambitioniertes Projekt allein durchzuziehen.

Mehr zu den spannenden Aspekten der Bewerbung und welche Krisen ich durchlief, schreibe ich weiteren Teilen dieser Kolumne.

Mehr zur Bewerbung für Masematte als immaterielles Kulturerbe auf der Homepage unserer Autorin www.schreibmaschinenlyrik.de.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert