Bereits vor über 100 Jahren flimmerten auch in westfälischen Kinos Bilder aus den Kolonien über die Leinwand und romantisierten die Ferne, befeuerten imperialistische Großmachtträume und verbreiteten rassistische Fantasien. Erst in den 1960er Jahren meldeten sich erste kritische Stimmen zu Wort und hinterfragten die koloniale Verklärung. Heute geht es nicht mehr nur darum, die Unterdrückung und Ausbeutung zu zeigen, sondern um Repräsentation und Selbstbestimmung des globalen Südens. Diesen Bogen zu spannen ist das Ziel einer Filmreihe, die von mehreren Institutionen des LWL und Vereinen wie Die Linse e.V. veranstaltet und ab Montag im Cinema zu sehen sein wird.
Statt über die betroffenen Menschen zu sprechen, sollen sie selbst zu Wort kommen und ihre Erfahrungen teilen können. Vor diesem Hintergrund lädt die diesjährige Filmreihe „Drehbuch Geschichte“ vom 19. März bis 30. April unter dem Titel „Kamera Kolonial. (Post-)Koloniale Perspektiven im Film“ zu einer Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte ein. Sechs Filme aus verschiedenen Ländern beleuchten die vielfältigen Facetten des Kolonialismus im Laufe der Zeit und dessen Auswirkungen bis heute.
Das Kino als Fenster zur Welt, die Kamera als koloniale Linse
„Das Kino war schon immer mehr als nur Unterhaltung: Wie kein anderes Medium prägt es unsere Wahrnehmung von anderen Ländern, Menschen und ihrer Geschichte“, so Prof. Dr. Markus Köster, Historiker und Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen, das die Reihe gemeinsam mit einer Reihe von Partnern organisiert hat.
Den Auftakt bildet am Montag (19.3.) „Der vermessene Mensch“ (2023). Der Film zeigt schonungslos den Völkermord an den Herero und Nama im früheren „Deutsch-Südwestafrika“. Schwarze Filmemacher kritisieren allerdings seine einseitige Täterperspektive. Während „Frauen, Masken und Dämonen“ (1948) auf Basis älterer Filmaufnahmen von Hans Schomburgk exotisierende Bilder der deutschen Kolonialvergangenheit präsentiert (25.3.), entfesselte die Dokumentation „Heia Safari“ von Ralph Giordano 1966 mit ihrer Kritik an der Sehnsuchtsfantasie nach Afrika Proteststürme (9.4.). Die gegenwärtigen Filme „Borga“ (2021) und „The Bride“ (2023) erzählen dann am 16.4. und 23.4. fesselnde und nachdenklich machende Geschichten von jungen Menschen aus Ghana und Ruanda, bevor mit dem Abschlussfilm „Stop Filming Us“ (2020) am 30.4. der westliche Blick auf Afrika hinterfragt wird.
Vielfältige Perspektiven und intensiver Austausch
Jede Filmpräsentation wird durch ein Nachgespräch begleitet, das zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem kolonialistischen Erbe anregt. Gäste aus verschiedenen Ländern bereichern die Abende durch ihre Perspektiven und persönlichen Erzählungen. Die Veranstaltungsreihe „(Post)kolonial vor Ort“ des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte bietet deshalb zahlreiche Kulturangebote, die den Einstieg in den Diskurs kreativ unterstützen. Auch „Drehbuch Geschichte“ ist dieses Jahr Teil des Programms.
„Filme bieten eine tolle Möglichkeit über den Tellerrand zu blicken und sich in andere Personen hinein zu versetzen. Wir möchten mit unserer Reihe auch Menschen abholen, die nur schwer einen Zugang zum Thema finden und so mögliche Berührungsängste abbauen“, erklärt Susanne Koellner vom LWL-Medienzentrum für Westfalen. Die Organisatoren freuten sich deshalb besonders, die Expertise des Vereins Afrikanische Perspektiven e.V. an ihrer Seite zu wissen. Neben der inhaltlichen Beratung engagierte sich der Münsteraner Verein auch stark bei der Organisation der Reihe.
„Drehbuch Geschichte“ wird seit über 20 Jahren von verschiedenen Einrichtungen veranstaltet, die sowohl das Interesse an historischen Themen als auch die Faszination für Filme verbinden. Neben dem LWL-Medienzentrum, dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und der LWL-Literaturkommission sind auch der Verein „Die Linse e.V.“, der Geschichtsort Villa ten Hompel, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.“ in der Planung engagiert. Die Reihe „(Post)kolonial vor Ort“ wird durch die LWL-Kulturstiftung gefördert.
Weitere Informationen zum Programm "Kamera Kolonial" findet ihr unter www.dielinse.de. Karten bekommt ihr unter www.cineplex.de. Veranstaltungsort ist das Cinema an der Warendorfer Str. 45, Karten gibt es unter http://www.cineplex.de
Programm für „Kamera Kolonial“
Dienstag, 19.03.2024, 18 Uhr, Cinema Münster
„Der vermessene Mensch“
(DE, 2023, Regie: Lars Kraume, 116 Min.)
Ein junger deutscher Ethnologe wird 1904 Zeuge des Völkermords an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“. Der Film widmet sich einem stark unterbelichteten Kapitel deutscher Kolonialgeschichte, allerdings aus Täterperspektive, wofür er von schwarzen Filmschaffenden scharf kritisiert wurde.
Montag, 25.03.2024, 18 Uhr, Cinema Münster
„Frauen, Masken und Dämonen. Eine afrikanische Symphonie“
(DE, 1948, Regie: Hans Schomburgk, 71 Min.)
Hans Schomburgk zählte zu den ersten deutschen Filmpionieren in Afrika. Seine zwischen 1913 und 1932 entstandenen Aufnahmen prägten das Afrikabild des deutschen Kinopublikums und bedienten dabei auch rassistische und sexistische Vorurteile. 1948 brachte die ostdeutsche DEFA sie neu heraus.
Dienstag, 09.04.2024, 18 Uhr, Cinema Münster
„Heia Safari. Die Legende von der deutschen Kolonialidylle in Afrika“
(BRD, 1966, Regie: Ralph Giordano, 99 Min.)
Giordanos zweiteiliger Fernsehfilm war eine bahnbrechende Kritik an der Klischeevorstellung, der deutsche Kolonialismus sei gerechter und idyllischer gewesen als der anderer Kolonialmächte. Die Erstausstrahlung 1966 löste einen regelrechten Proteststurm aus.
Dienstag, 16.04.2024, 18 Uhr, Cinema Münster
„Borga“
(DE/Ghana, 2021, Regie: York-Fabian Raabe, 104 Min.)
Die ghanaischen Brüder Kojo und Kofi träumen davon, in Europa ein besseres Leben zu führen, statt auf einer Elektroschrottdeponie ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch das Leben als Migrant in Deutschland ist hart. Der Film wirft einen unverstellten und persönlichen Blick auf die ghanaisch-deutschen Beziehungen.
Dienstag, 23.04.2024, 18 Uhr, Cinema Münster
„The Bride“
(Ruanda, 2023, Regie: Myriam U. Birara, 73 Min.)
Einige Jahre nach dem Genozid an den Tutsi träumt eine junge Frau in Ruanda von einer medizinischen Ausbildung. Stattdessen wird sie zur Hochzeit gezwungen; ihr einziger Halt ist die die Cousine ihres Mannes. „Biraras Darstellung einer Freundschaft vor dem Hintergrund einer Zwangsehe und ihre leise Thematisierung des Genozids sind herausragend.“ (Berlinale 2023)
Dienstag, 30.04.2024, 18 Uhr, Cinema Münster
„Stop Filming Us“
(Niederlande/Demokratische Republik Kongo, 2020, Regie: Joris Postema, 95 Min.)
In Goma (Kongo) wehren sich junge Menschen gegen die einseitige Berichterstattung über ihre Stadt. Der Fokus auf Krieg, Gewalt, Krankheit und Armut spiegelt ihrer Meinung nach lediglich westliche Stereotypen, nicht die Realität ihres Lebens.
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