„Der goldene Handschuh“- Heinz Strunk bringt Schmiersuff und Fako in die Stadt

Heinz Strunk voll in der Rolle seiner neuen Roman Figur "Fiete" Honka. (Foto: wf / Weber)
Heinz Strunk voll in der Rolle seiner neuen Roman Figur „Fiete“ Honka. (Foto: wf / Weber)

Ein Lokal mit dem Charme der Vorhölle, in dem sich seit den 1970er-Jahren allerlei gescheiterte Existenzen versammeln und langsam aber sicher am Tresen im „Sturz-“ bzw. „Schmiersuff“ vergammeln. Ein Laden, in dem „Fako“ die Abkürzung für „Fanta-Korn“ und „Klötenköhm“ das Synonym für Eierlikör ist. Und Huren, das sind im Kiez-Jargon schlicht „Wegsteckhühner“. 

„Der goldene Handschuh“ heißt eine 24-Stunden-Kaschemme auf St. Pauli, in der Heinz Strunk seinen neuen gleichnamigen Tatsachen-Roman spielen lässt. So traurig seine Geschichte rund um den Serienmörder Fritz Honka auch ist: Strunk macht daraus ein urkomisches Meisterstück, das er seinen Fans im ausverkauften Kinosaal des Cineplex am Mittwochabend vorstellt. Seit „Fleisch ist mein Gemüse“ ist der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler aus den Bestsellerlisten nicht mehr weg zu denken und setzt damit natürlich die Messlatte für sein neues Werk selbst sehr hoch.
Vor Beginn seiner Lesung erklärt Strunk dem Publikum, dass er in dem „goldenen Handschuh“ etliche Abende verbringen musste, um auch aktuelle Eindrücke in sein Buch einfließen lassen zu können, denn als der Fall Honka durch die Presse ging, war er erst 13 Jahre alt.

Er erzählt, wie die BILD-Zeitung das Thema damals ausschlachtete, Schlagzeilen wie „Hitze, Honka, HSV“ die Titelseiten füllten und in der Zeit der Honka-Gruß erfunden wurde (nach dem Schütteln der Hände folgt eine Bewegung, die eine Säge darstellen soll). Auch teilt Strunk mit, dass er die 18 Prozessakten im Hamburger Staatsarchiv ausführlich studiert hat, um sich ein Bild von diesem Mann zu machen: „So viele Veröffentlichungen zum Fall Honka gibt es ja gar nicht“, sagt Strunk. „Also das sind ja eher die paar Fakten, die man bei Wikipedia einsehen kann, und eine alte Zeitungsmeldung. Und journalistischen Ehrgeiz habe ich null Komma null minus tausend, also das interessiert mich alles überhaupt nicht. Und es ist ja nur für mich, fürs Buch wichtig, dass ich weiß, wovon ich schreibe, und wenn ich nicht ins Blaue mir etwas ausdenke, wie Fritz Honka gelebt hat, sondern ungefähr, ungefähr Bescheid weiß, dass es verifiziert ist, wie man so schön sagt.“ „Und falls es jemanden wundert, warum ich nicht direkt aus meinem Buch lese“ fährt Strunk fort, „Autoren, die aus ihrem eigenen Buch lesen, sind mit Vorsicht zu genießen. Ich hingehen lese aus einem extra zurecht geschnittenen Werk“, wodurch sich nun auch die Zettelsammlung in seinen Händen erklärt hat.

Aber auch in „seinem extra zurecht geschnittenen Werk“, aus dem der Autor nun liest, wird kein Blatt vor den Mund genommen, denn mit barocker Fixierung auf des Menschen mürbes Fleisch beschreibt Strunk die „Verschimmelten“ im Goldenen Handschuh, ihre hinkenden Schritte, ihre herausgefallenen Zähne, ihre Eiterwunden, ihre von Hepatitis gelbe Haut, die immerzu juckt, ihre sauren Ausdünstungen. Unter der Dauervergiftung durch Alkohol verwandelt sich der Mensch in einen Klumpen vergärende Biomasse, irgendwo an jener Grenze, an der das Beseelte ins nur noch Organische übergeht. So viele Farben, wie Turner dem Meer und seinen Wellen abzugewinnen wusste, so viele schimmelig-schillernde Aspekte des verrottenden Körpers gewinnt Strunk seinen Säufern ab.

Das Publikum des bis auf den letzten Platz ausverkauften Kinosaals ist begeistert vom neuen Werk des Bestsellerautors. (Foto: wf / Weber)
Das Publikum des bis auf den letzten Platz ausverkauften Kinosaals ist begeistert vom neuen Werk des Bestsellerautors. (Foto: wf / Weber)

Eskimos haben angeblich viele Wörter für Schnee, der Erzähler Strunk hat ein Riesenvokabular für die verschiedenen Arten des Suffs: das Stützbier, die Verblendschnäpse, der Sturzsuff, das Vernichtungstrinken und der Schmiersuff. „Der Schmiersuff“, sagt Strunk, „ist vielleicht das Schrecklichste.“ Aber auch wenn sonst nichts mehr geht, der Sexualtrieb gibt nicht auf. Seine Zuhörer erleben ein schlimmes Kopfkino, das Strunk durch Roman auslöst, wenn er die Körper zweier Verschimmelter sich vereinigen lässt. Da möchten nicht einmal die Beteiligten selber hinschauen. Doch Strunk setzt noch einen drauf, wenn er beschreibt, wie Fritz „Fiete“ Honka eine Frau, die sich selbst bereits aufgegeben hat, mit in seine nach Verwesung stinkende Wohnung nimmt, obwohl er sie wegen ihrer Gebrechlichkeit eigentlich verachtet. Also beginnt Honka sie zu demütigen und durch sadistische Sexualpraktiken zu quälen: „Beim Gedanken an die bevorstehende Versklavung rieseln ihm wohlige Schauer über den Körper.“ Die Frauen müssen einen Zettel unterschreiben, wonach sie ihren eigenen Willen aufgeben: „Hiermit erkläre ich, Gerda Voss, dass ich es im Leben noch nicht so gut hatte wie bei Herrn Honka.“ Weil aber Honkas Wille nicht für zwei reicht, wächst ihm alles über den Kopf. Dann schlägt seine sexuelle Gier in Hass um und er mordet die Frauen bestialisch.

Strunk kontrastiert diese Geschichte in seinem Roman durch die bessere Hamburger Gesellschaft. Auch hier, unter Reedern, trifft der Autor den Ton genau. Karl hat ein ähnliches Problem mit Alkohol wie Fiete, auch bei seinem Umgang mit Frauen gibt es Parallelen, nur dass die ganze Sache wegen sehr viel dekorativem Geld auf den ersten Blick nicht ganz so verschimmelt aussieht. Einmal quält Karl eine seiner Frauen, er schlägt sie, dann zwingt er sie, sich nackt in die Ecke des Zimmers zu stellen und bis 300 zu zählen. Er weiß auch nicht, was das soll, aber er kann jetzt nicht anders. Dann heißt es: „Ihr entfährt ein Furz. Meine Güte, denkt Karl, bleibt mir denn gar nichts erspart?“

Die Besucher des Kinosaals erleben einen Schlagabtausch zwischen Lachen und Schockieren, solch einen harten Tobak kennt man bisher gar nicht vom Strunk, aber dennoch schafft er es, diese harte Kost seinem Publikum unterhaltend herüberzubringen, da er sich die meiste Zeit seiner Lesung eher auf die amüsanteren Passagen seines Buches konzentriert und, so ist man es aus seinen Hörbüchern gewohnt, jeder seiner Figuren durch unterschiedliche Stimmlagen einen ganz eigenen Charakter verleiht.

Zum Abschluss seiner Lesung rät Heinz Strunk noch beim nächsten Hamburg-Trip, nach dem Musical, mal nicht ins Maredo zum Steakessen zu gehen, sondern dem „Goldenen Handschuh“ auf der Reeperbahn einen Besuch abzustatten. Wer zeitnah keinen Hamburg-Trip geplant hat, aber dennoch mehr über den „Goldenen Handschuh“ erfahren möchte, dem bietet Heinz Strunk auf seiner Tour noch bis zum 26.11.2016 die Möglichkeit dazu.

Weitere Tourdaten und Informationen: www.heinzstrunk.de

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh
Roman; Rowohlt, Reinbek 2016; 256 S., 19,95 €

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