„Das ist durch nichts zu ersetzen!“ Interviewreihe „Münster, deine Künstler:innen“ / Folge 7 mit Musikerin Heike Bigalke

Zwei Wiedervereinte mit blumiger Vergangenheit: Heike Bigalke im Gespräch mit ALLES MÜNSTER-Kolumnistin Iris Brandewiede.
Zwei Wiedervereinte mit blumiger Vergangenheit: Heike Bigalke im Gespräch mit ALLES MÜNSTER-Kolumnistin Iris Brandewiede. (Foto: Iris Brandewiede)

„Wenn die Augen im Publikum den Ausdruck der Musik widerspiegeln – das ist durch nichts zu ersetzen!“ sagte die Musikerin Heike Bigalke zur ALLES MÜNSTER-Kolumnistin Iris Brandewiede. Hier das gesamte Interview.

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Liebe Heike, herzlich Willkommen in der guten Stube @Home bei der Hausfrau.

Danke für die Einladung!

Corona hatte auch uns für eine Weile auseinander gebracht.

Zum Glück hat uns die Altkanzlerin mit ihren letzten Musikwünschen wiedervereint! (lacht)

Du spielst auf unsere gemeinsame Vergangenheit an, da wir mit einem famosen Straßenmusikquartett zur Eröffnung der „Floristen“ in der Salzstraße aufspielten. Das ist gleich zu Beginn des Interviews ein Häppchen absoluten Münster-City-Insiderwissens!

Ja, liebe ALLES MÜNSTER-Leser:innen, vor rund einem Dutzend Jahren gaben wir mit Marko Adam und Christian Lennartz nicht nur den blumigen Klassiker „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ zum Besten, sondern schmetterten in Urlaubslaune „Du hast den Farbfilm vergessen“. Echt wahr.

IB (wehmütig): Was für eine unbeschwerte Zeit war das im Nachhinein… Inzwischen gilt Singen als das gefährlichste Hobby der Welt.

HB lacht, wird dann still.

Scherz beiseite, Heike. Wir sind mitten in einer Dynamik, die wir im vergangenen Sommer für einen ganz kleinen Augenblick ausblenden konnten. Du bist professionelle Flötistin. Wie funktioniert aktuell ein Berufsleben bei einem Instrument, das mit Atemluft betrieben wird?

Wie viele Kolleg:innen habe ich zwei Standbeine: In beiden Tätigkeiten – als Künstlerin und als Pädagogin für das Fach Querflöte – geht es zentral um den eigenen Atem, der zu Klang wird: Der Atem ist der Klang. Er muss fließen, strömen, das Spiel muss sich möglichst frei anfühlen. Da sich bei einem Blasinstrument der Atem nicht hinter einer Maske bannen lässt, waren zunächst nur Online-Unterricht und das Flöten allein daheim möglich. Glücklicherweise kann ich inzwischen unter den geltenden Hygienebedingungen wieder in Präsenz arbeiten.

Du schaffst es bei allen Belastungen, das Gute zu fokussieren, Respekt, Heike. Du bist die erste Vertreterin des Genres Klassik in dieser Interviewreihe. Wir Normalsterblichen wissen kaum etwas über das Leben einer freischaffenden Künstlerin in diesem Spezialgebiet, zumal unter den aktuellen Bedingungen. Gewährst du uns einen persönlichen Einblick?

Gerne! (HB strahlt, pausiert, fährt mit roten Wangen fort) Kammermusik, also das Zusammenspiel mit wenigen Instrumenten, ist für mein Empfinden die intimste Form der klassischen Musik. Die Kommunikation zwischen den Instrumenten ist sehr innig und intensiv. Diese Intensität im großen Abstand zwischen den Musizierenden entstehen zu lassen, ist eine Herausforderung. Es ist ein bisschen wie beim Tanzen. Da gibt es Figuren, die eine gewisse Distanz fordern, andere umso mehr Nähe. Ein Stück zu spielen, bedeutet ja tatsächlich, im Hier und Jetzt gemeinsam etwas zu erschaffen. Das geht über weit über die rein akustische Ebene hinaus. Noch ein Bild: Versuch mal, von zwei Enden einer riesigen Tafel aus ein intimes Zwiegespräch zu führen!

(IB denkt nach): … ja, … das ist schwierig…

Zudem müssen wir ein völlig neues Gefühl für die Akustik im Raum entwickeln. Der räumliche Gesamtklang verändert sich enorm mit den großen Abständen zwischen den Musiker:innen. Das ist herausfordernd, denn die Kammermusik mit meinen Trios lebt von der Verdichtung des Klanges. Aber Herausforderung bedeutet auch, kreativ zu werden und das ist ja bekanntermaßen die Königsdisziplin von uns Musikerinnen! (lächelt fröhlich-verschmitzt)

Es ist wunderbar, auf diese Weise sozusagen einmal hinter die Kulissen deiner Arbeit schauen zu dürfen. Wie es euch insgesamt in den letzten zwei Jahren ergangen?

Für mein klassisches Kammermusik-Ensemble „Trio Fürstenau“ mit zwei Flöten und einem Klavier gab es lange Zeit keine Probenmöglichkeit. Ein Pianist kann leider nicht mal eben im Park spielen. Unsere privaten Räume waren zu klein, um unter den Abstandsregeln zu proben, und öffentliche Gebäude konnten wir wegen coronabedingter Schließungen nicht nutzen. Wir haben eine Zeitlang abwechselnd zu zweit geprobt und so versucht, das Ganze zusammen zu puzzeln. Das war wirklich schwierig. Unverhofft haben wir ein privates Angebot bekommen, in einem großen Raum mit Klavier zu proben, von Menschen, die von unserem Dilemma erfahren haben. Ich fand das eine unglaublich tolle Geste (sie lächelt).

Du hast dich in der Zeit also unterstützt gefühlt?

Ja, auf jeden Fall. Ohne diesen privaten Probenraum wären wir aufgeschmissen gewesen, da wir mitten in den Vorbereitungen zu einer CD-Aufnahme standen. Auch im pädagogischen Bereich gab es viele Anstrengungen, einen wenn auch eingeschränkten Betrieb aufrecht zu erhalten. Das Leitungsteam an der Städtischen Musikschule Bottrop – dort habe ich mein pädagogisches Standbein – hat alles darangesetzt, Bedingungen zu schaffen, die auch uns Kolleg:innen schützen. Nach einem großen „Raum-Tetris“ findet der Unterricht für Blasinstrumente in den größten Räumen des Hauses statt. Auch für die Musikschulen ist und bleibt das Musizieren mit Abstand eine echte Herausforderung.

Für Flötistin Heike Bigalke macht das Publikum jedes Konzert zu einem einzigartigen und nicht bis ins Letzte planbare Geschehen. (Foto: privat)
Für Flötistin Heike Bigalke macht das Publikum jedes Konzert zu einem einzigartigen und nicht bis ins Letzte planbare Geschehen. (Foto: privat)

In eingeschränktem Rahmen sind wieder Live-Konzerte möglich. Magst du uns von deinem letzten Auftritt erzählen?

HB (strahlt): Ja! Das war mit dem Trio Schoklamai im Café Sentrup, im Herbst 2021. Das war schön! Unser Programm ist wie eine musikalische Landkarte und wir haben das Publikum mitgenommen auf eine Reise rund um den Globus. Da wurden Erinnerungen wach und ein bisschen Fernweh gestillt. (Sie wird nachdenklich.) Eine Konzertreise nach Tokio ist im vergangenen Jahr allerdings coronabedingt geplatzt. Jetzt müssen wir noch eine Weile von unserer Japanreise 2018 zehren.

Was macht es eigentlich so schwer für Musiker:innen, auf Konzerte zu verzichten?

HB (mit leuchtenden Augen): Das Publikum hat ja keine passive Rolle. Es ist Teil des Konzertes. Eine bestimmte Spannung im Raum kann nur entstehen, wenn Menschen da sind, die den Klang aufnehmen, und, ja, die ebenfalls Atmen. Musizieren ohne Publikum ist, als ob du ein Selbstgespräch führen würdest. Es fehlt ein Gegenüber. Die Reaktionen beeinflussen das eigene Spiel so sehr. Das macht jedes Konzert zu einem einzigartigen und nicht bis ins letzte planbare Geschehen. … Toll!

Alle Daumen sind gedrückt!!! Nun droht uns allerdings nach den Viren-Wellen die „Omikron-Wand“. Was wird dich über die nächsten Monate bringen?

Gute Frage. Wenn Präsenzkonzerte unmöglich sind, werden wir wieder nach alternativen Möglichkeiten suchen. Vielleicht wird es dann doch das E-Piano im Park. Wait and see…

Zum Glück bekam das Trio Fürstenau 2021 ein Landes-Stipendium. Wir konnten zur Herkunft unsers Namensgebers Anton Bernhard Fürstenau – ein 1792 in Münster geborener Flötist und Komponist, wieder ein Häppchen Insiderwissen! – sehr in die Tiefe recherchieren und seine Stücke einspielen. Aus diesen Aufnahmen produzieren wir ein Album. Es wird als CD erhältlich sein – und auch als digitales Produkt. Es war sehr interessant, die Stücke musikwissenschaftlich mit mehr Hintergrund auszustatten. Wir haben sogar Werke ausgegraben, die lange verschollen waren und seit den 1840er Jahren nicht mehr gespielt wurden! Wir haben sie lesbar und spielbar gemacht.

Da entstehen gleich Bilder von geheimnisvollen Archiven und wertvollen Faksimiles im Kopf…

Ja, das war eine wirklich spannende, zeitintensive und bereichernde Arbeit. Den Ursprung der Stücke zu erforschen, gehört immer zur Erarbeitung eines Repertoires dazu.

Der Kern meines Berufes aber bleibt: Ich bin Musikerin, ich bin Flötistin.

Was ist dabei die wesentliche Mission?

Die Hauptaufgabe ist es, die Musik einem Publikum zugänglich zu machen, sie auf die Bühne zu bringen und den Menschen im Hier und Jetzt, Live und in Farbe erfahrbar zu machen. Das ist das, worum es geht! Und wenn das nicht möglich ist, dann fehlt etwas.

Du kannst die Musiker und das Publikum nicht getrennt voneinander denken. Die Reaktion des Publikums, dieses Mitgehen, das hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Spielenden, wie ein Verstärker der eigenen Empfindungen. Das gilt für jedes Genre, ob Jazz, Pop oder klassische Musik. Wenn die Augen der Zuschauer:innen den Ausdruck der Musik widerspiegeln – das ist durch nichts zu ersetzen!

Liebe Heike, du brennst für deine Kunst! Nun kommt für dich das Beste zum Schluss: Die gute Fee schenkt dir die Erfüllung dreier Wünsche! Hier ist der Ort, sie zu äußern, auf dass sie in Erfüllung gehen mögen!

Jubel, Trubel, Heiterkeit (lacht)

Wird gemacht! Liebe Heike, danke für deine Zeit. Für dich soll’s rote Rosen regnen!

HB: (gackert) Und dein Micha soll den Farbfilm nicht vergessen!

Heike Bigalke lebt in Münster. Sie ist zu erreichen unter floete.sentrup@web.de

Heike Bigalke ist zurzeit in folgenden Ensembles aktiv:

Trio Fürstenau:
Risa Cobayashi (Klavier), Pavel Tseliapniou (Flöte), Heike Bigalke (Flöte).
Die nächsten Konzerte:
Fortsetzung der Reihe „Von Bach bis Jazz“ in der Musikhochschule;
Café Sentrup (in Planung)

Trio Schoklamai,
Repertoire: „Vom ostländischen Walzer über Irish Folk bis Klezmer“
Konny Wiesen (Geige, Kontrabass), Isabelle Bode (Akkordeon), Heike Bigalke (Flöte).
Die nächsten Konzerte:
19. März 2022: Finissage einer Ausstellung über Auschwitz B12, Kulturzentrum Everding, Böckenhoffstraße 12a, 46236 Bottrop;
April 2022: Zukunftswerkstatt im Kreuzviertel (Schulstraße 45); Programm 2022 demnächst auf www.zukunftswerkstatt-kreuzviertel.de

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