Da simmer dabei, dat is johovel! Ein Kulturvergleich - erste Folge der neuen Kolumne "Hausfrau & Mutter, berufstätig"

Wenn die Kölner "Alaaf!" rufen und die Münsteraner "Helau!", dann ist es nicht das Gleiche. (Archivbild: Stephan Günther)
Wenn die Kölner „Alaaf!“ rufen und die Münsteraner „Helau!“, dann ist es nicht das Gleiche. (Archivbild: Stephan Günther)

Uns steht die fünfte Jahreszeit bevor, ins Haus und eigentlich schon „bis hier“, wie der Westfale mit der Handkante am Kinn deutlich macht. Oder seid ihr etwa in diesem Jahr dabei? Ganz ehrlich: Hättet ihr den Trip an die Nordsee gebucht – ich tät es euch nicht verdenken. Doch möchte ich hier eine kleine Lanze für ein uraltes Brauchtum brechen, das immer noch Rätsel aufgibt und Geister scheidet. Dabei spreche ich nicht von Zipfelmützen, Ordensgedöns und dem Sitzungsmarathon der jecken Monarchen. Das müssen euch ihr die hohen Herren erklären, welche mit Stolz die ehrenvollen Ämter bekleiden. Hier geht es um uns, also das gemeine Fußvolk im Straßenkarneval.

Aufgewachsen einer Kleinstadt im Münsterland, beschränken sich meine frühkindlichen Erinnerungen in Sachen Karneval auf innere Bilder von Kindern und Erwachsenen in den Kostümierungen Cowboy, Indianer, Clown und Raubkatze. Die Verkleidungen stammten vom Wühltisch, die Accessoires vom Hängekarussel bei Woolworth. Sehr kreative Mütter schneiderten Wochen vorher mit Hilfe von Burda genau die gleichen Kostüme, mit ordentlich eingeschnittenen Fransen an den Ärmeln der braunen Wildwest-Oberteile. Sehr unkreative Väter zogen in letzter Sekunde das alte quergestreifte Ringelshirt, ebenso gemusterte Kniestrümpfe und Turnschuhe an, krempelten närrisch ein Hosenbein hoch und steckten sich einen Flachmann in die Jeanstasche. Fertig war der Matrose.

Wir Kinder fanden Karneval super. Wir riefen „Helau!“, sangen „Da steht ein Pferd aufm Flur“, ballerten mit Platzpatronen, spielten was wir immer spielten, nur mehr und länger, mit weniger Aufsicht und in Verkleidung. Herrlich! Die Schule fiel wegen Brauchtumspflege aus und unsere Eltern waren ziemlich abgelenkt durch das permanente Feiern und dessen Folgen.

Dann kam lange nichts.

Auch in der Studienstadt Köln bekam ich jahrelang nicht mit, was lief. Bis zum schicksalhaften Wochenende, das meine Freundinnen und ich zum Lernen nutzen wollten. Abends trafen wir uns zur Feier meines Geburtstages, tranken Portugieser Weißherbst und ließen es uns bei Kartoffelauflauf gut gehen. Gegen Mitternacht schlug Lina vor, einen kleinen Kneipenbummel zu unternehmen. Kaum hatten wir das Haus verlassen, summten uns die Ohren. Magisch von den kölschen Klängen angezogen, standen wir eine Minute später dicht aneinander gedrängt in einer winzigen Kneipe, ein kleines Rudel Landpomeranzen zwischen voll kostümierten Jecken. Ungefragt wurden wir mit einer Runde Kölsch versorgt. Wie im Traum nahmen wir durch den Nebel der feuchtwarmen Luft einen bunten Mix skurriler Figuren wahr: Stan & Olli lagen sich mit Bibo aus der Sesamstraße in den Armen, David Haselhoff balancierte mit freiem Oberkörper Kölschgläser, während Lieutenant Uhura den Tresen ablederte.

Drei Blues Brothers, davon mindestens eine Sister, stritten sich mit Heino um eine Sonnenbrille. Ernie und Bert versuchten uns verschreckte, völlig unkostümierte Schar zum Tanzen auf dem Ecktisch zu animieren. Wenn jemand wissen möchte, wie Kulturschock buchstabiert wird: Siehe oben! Doch die Eingeborenen gaben nicht auf. Bereits zweimal Bläck Fööss später tanzten wir, angemessen kostümiert mit Pappkronen vom Burgerking, zur eigens für mich eingeschobenen Stevie-Wonder-Version von Happy Birthday auf der Fensterbank. Und dort sind wir kollektiv dem Kölschen Karnevalszauber erlegen. Wir riefen „Alaaf!“, sangen „Drink doch eine met“, verteilten Bützje und hielten durch bis Aschermittwoch. Wir waren infiziert, Gegenmittel unbekannt.

Noch als junge Mutter bin ich mit den Kindern jährlich zu den Schull- und Veedelszöch gereist. Scharen kleiner Napoleons zogen aus historischem Anlass mit Fahrradsattelschonern auf dem Kopf kamelleschleudernd ihrer Wege. Die Kinder der Waldorfschule, als schulpolitische Randnotiz in Sack und Asche, bewarfen uns mit Erdnüssen und selbstgemachtem Trockenobst. Wir riefen „Alaaf!“, sangen „Mer losse d‘r Dom in Kölle,“ sammelten Strüßje, Kamelle und Bilder für die Götter.

Und ehrlich, ich habe auch dem Karnevalszug unserer lebenswerten Stadt eine Chance gegeben. Aber die vielen Cowboys und Indianer, Clowns, Raubkatzen und Matrosen mit Flachmännern… Es ging nicht mehr. Ich war für immer verdorben für die hiesige Lesart von Lebensfreude. Und ja, ich gebe es zu, die Nordsee hat auch im Winter ihren Reiz…

Die Kinder aber halten die westfälische Fahne hoch und ziehen Jahr für Jahr im Rudel zum Zug. Sie rufen „Helau!“, singen „Hol das Lasso raus,“ amüsieren sich prächtig und kehren mit Säcken voller Bömskes zurück. Müssen sie selbst wissen, sind ja schon groß.

Apropos: Letztes Jahr ist die Große nach Köln gezogen.

Wie lang mag es dauern, bis sie sich den Virus zuzieht?

Alaaf!

Unsere neue Gastautorin Iris Brandewiede hat unter dem Titel "Hausfrau & Mutter, berufstätig" ein Buch mit 13 toften Alltagsgeschichten beim Agenda Verlag Münster veröffentlicht (siehe auf agenda.de) und schreibt auch auf ihrer eigenen Homepage https://irisbrandewie.de/.

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