Blaue Männchen eroberten die Stadt Das französische Straßentheater Générik Vapeur lockte wahre Menschenmassen zur Parade "Bivouac" in die Innenstadt / Höhepunkte der Flurstücke 019 am Samstag

Die blauen Männchen der französische Straßentheater-Gruppe Générik Vapeur eroberten die Stadt, und die ergab sich ihnen mit Applaus. (Foto: Michael Bührke)
Die blauen Männchen der französische Straßentheater-Gruppe Générik Vapeur eroberten die Stadt, und die ergab sich ihnen mit Applaus. (Foto: Michael Bührke)

In Münster lassen sich viele für Kunst begeistern. Besonders dann, wenn sie so unterhaltsam daherkommt, wie beim Festival Flurstücke 019, die heute Nachmittag ausklingen. Für den größten Auflauf sorgte am Samstagabend die Parade „Bivouac“ der französischen Straßentheater-Gruppe Générik Vapeur.

Wahre Menschenmassen säumten den Weg, als die blauen Männchen von der Salzstraße aus mit ihren Fässern durch die Innenstadt zogen, verfolgt durch ein wuchtiges Fahrzeug mit einer lautstark rockenden Live-Band oben drauf. Viele folgten ihnen, wie einem Mottowagen auf einem Rave, andere nutzten ihre Ortskenntnis und huschten durch Abkürzungen, um rechtzeitig an einer der nächsten Stationen zu sein.

Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob dieser Auftritt wirklich so spektakulär war, mit all dem optischen Bombast, dem Spiel mit Licht und Farben, Lautstärke und Energie. Oder ob Konsumkritik dahintersteckte, als zwei der Darsteller auf dem Dach des Betonklotzgebäudes an der Ecke zur Stubengasse ihre Geldkoffer öffneten und nichts als weiße Federn herausquellen ließen, bevor sie sich von dort oben abseilten. Oder ob das Feuerwerk auf dem Domplatz wirklich bejubelnswert war. Diese Truppe unterstrich mit ihrem Auftritt aber eine gute Stunde lang deutlich, dass sie diese Stadt erobern will und dabei keinen Widerstand erwartet.

Aus den Träumen erwacht, räkelte sich die Riesin "Punch Agathe" am Samstag neben der Goldenen Brücke am Aasee. (Foto: Thomas Hölscher)
Aus den Träumen erwacht, räkelte sich die Riesin „Punch Agathe“ am Samstag neben der Goldenen Brücke am Aasee. (Foto: Thomas Hölscher)

Damit schloss sich auch der Kreis zur Eröffnung, bei der OB Markus Lewe mit einem Slogan der Bürgerbewegungen fragte, „Wem gehört die Stadt?“, um sie sogleich selbst zu beantworten: „Sie gehört allen!“ In diesen Tagen wurde sie zu einem Teil an die Künstler abgegeben, die oft ihr eigenes Spiel damit trieben. Im Mittelpunkt stand aber immer die Betrachtung von Menschen in ihrer Umgebung. Mal als aktive Stadtbevölkerung, wie beim Tanztheater „Block“, das am Samstag Mittag in Münster-Coerde von einem überwiegend jugendlichen Publikum stark bejubelt wurde. Mal als Opfer der Lebensmittelindustrie, wie beim Happening „Fat Facts“, für das sehr viel Zucker auf dem Stubengassenplatz verwendet wurde. Dann wieder die phantastische Geschichte der afrikanischen Riesin „Punch Agathe“, die nach ihrem spektakulären Auftritt an den Aaseetreppen am Freitag nun – zur Enttäuschung mancher Besucher – am Samstag unterhalb der Goldenen Brücke nur lag und schlief und dabei einen Traum hatte, der von ihrem Gefolge vor allem musikalisch dargestellt wurde.

Von diesem Wagen herab präsentierten die Musiker Veit Sprenger und Thies Mynther die Musik von Moondog - und den Menshcen dahinter. (Foto: Thomas Hölscher)
Von diesem Wagen herab präsentierten die Musiker Veit Sprenger und Thies Mynther die Musik von Moondog – und den Menschen dahinter. (Foto: Thomas Hölscher)

Einer ganz konkreten Person wurde schließlich mit einem phantastisch aussehenden Wagen gehuldigt, auf dem sich die Musiker Thies Mynther und Veit Sprenger von der Ludgeri- bis zur Lambertikirche ziehen ließen, vorbei an den mitunter irritierten Passanten der Einkaufsstraßen. Das interessierte Publikum folgte ihnen und erfuhr so ein wenig über Moondog und seine Musik. Der legendäre Komponist, der als Louis Thomas Hardin in den USA geboren wurde und vor 20 Jahren in Münster starb, ist schließlich immer noch nicht allen bekannt. Da er den größten Teil seines Lebens als Straßenmusiker in New York gelebt hatte, war dieser Umzug mit den einfallsreichen Instrumenten schon eine angemessene Würdigung. Mynther und Sprenger spielten Moondogs Lieder nicht gerade konzertant und sauber, sondern mit einem charmanten Indie-Touch und dem Mut zum Unperfekten.

Dieser Mut und diese Unbekümmertheit, mit denen das mögliche Scheitern von vornherein in Kauf genommen wird, zeichnete viele der Performances und Installationen dieser dritten Ausgabe der Flurstücke aus. Das haben Friederike Koch und Christof Debler mit ihrem Projekt „Zungenbrecher“ geradezu auf die Spitze getrieben. Immer wieder neue Zuschauer amüsierten sich unter einer Plane am Aasee, wo auf drei Bildschirmen parallel die vielen Videomitschnitte zu sehen waren, in denen 50 Münsteraner unterschiedlicher Herkunft sich an den „Fischers Fritzen“ ihrer jeweiligen Sprachen die Zunge verdrehten.

Insgesamt sind die unterschiedlichen Vorführungen der Flurstücke 019 auf großes Interesse gestoßen, manche mehr, manche weniger. Manche Zuschauer waren enttäuscht, die meisten aber begeistert. Auf dieser Grundlage dürften die Organisatoren schon morgen damit beginnen, die nächsten Flurstücke zu planen – wenn denn die Sponsoren wieder mitspielen.

Noch mehr Bilder findet ihr auf Facebook und in unserer Fotostrecke:

Fotostrecke: Flurstücke 019 (22.06.19)

 

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