… ist alles vorbei? Eine Suche zwischen den Kulturen / Neuer Teil unserer Kolumne "Hausfrau & Mutter, berufstätig"

Ist an Aschermittwoch wirklich alles vorbei? (Foto: Tessa-Viola Kloep)
Ist an Aschermittwoch wirklich alles vorbei? (Foto: Tessa-Viola Kloep)

Nun ist es aus mit der Narretei. Die Orden sind verliehen, die Bütten geredet, die Zipfelmützen nebst Ornat in der chemischen Reinigung. Die Herren Monarchen harren auf die nächste närrische Session. „Nach dem Prinz ist vor dem Prinz“, soll ein führender Jeck mal gesagt haben.

Das hiesige Fußvolk aber gibt sich nicht mit einer laxen Wartehaltung zufrieden. Wir bekommen noch echte Aschekreuze auf die Stirn. Es folgen vierzig Tage innerer Einkehr und Mäßigung, bis Ostern. So hat sich die Kirche den heidnischen Brauch des Karneval zu Nutze gemacht: Am Ende des langweiligen Winters wurde tüchtig und mit Ansage gesündigt. Die Anonymität der Maskerade erlaubte moralische Zügellosigkeit und sogar Spott gegen die Obrigkeit. Danach wurde angemessen gebüßt, um geläutert das Osterfest zu begehen. So die Theorie.

So ähnlich läuft das in Köln immer noch: Das Liebesleben mancher Menschen jedenfalls spielt sich komplett an den Tagen Weiberfastnacht bis Aschermittwoch ab. Dann aber auch richtig. Meine frühere Chefin etwa, eine junge, pralle Schönheit, nahm außerhalb der tollen Tage schmachtende Blicke mancher Herren wie auch unserer Kollegin Claudia nicht im geringsten wahr. Ulla, Mitte zwanzig und bereits Stationsleitung, schmiss mit umwerfender Energie den Laden für pflegebedürftige Senioren. Von ihrer guten Laune angesteckt, wuppten wir alle mit, Claudia schmachtete. Ulla hielt sich leider ihrer Leibesfülle wegen für schrecklich unattraktiv und schmachtete auf andere Weise. Sie war ständig auf Diät. Während wir beim Frühstück fröhlich halve Hähne (zu Westfälisch: Käsebrötchen) mampften, trank Ulla schwarzen Kaffee. Als Aushilfe auch Mädchen für alles, vertrat ich gelegentlich unsere Hauswirtschafterin (zu Kölsch: Küschenfee). Deshalb kannte ich Ullas kleines Geheimnis: Sie besaß einen gigantischen Vorrat an püriertem Obst in winzigen Babynahrungs-Gläschen, die sie ganz hinten im großen Kühlschrank hortete. In unbeobachteten Momenten stahl sie sich mit einem winzigen Plastiklöffelchen in die Speisekammer und dezimierte die Vitamine. Karneval aber war es vorbei mit Arbeiten, Diät und Heimlichkeiten.

Zuvor ordnete Ulla für die Station das ganz große Besteck an: Den Bewohnern fehlte es an nichts, von Girlanden über Luftballons, Konfetti und nonstop Karnevalsklängen bis hin zu Kölsch und Flönns (zu Westfälisch: Bier und Blutwurst). Ulla organisierte, kaufte ein, bereitete vor. Und dann tauchte sie ab. Nie sahen wir sie an Weiberfastnacht untergehakt mit einem flotten Senior schunkeln, keine Büttenrede ans betagte Volk verließ ihr fröhliches Mundwerk, selbst die jecke Nubbelverbrennung im Garten des Seniorenstifts führte nicht Ulla an, sondern wir, die zugezogenen Aushilfskräfte. Erst Aschermittwoch tauchte unsere Chefin energiegeladen, vollkommen übernächtigt, mit rauer Stimme und schlecht versteckten Knutschflecken wieder auf. Und fastete. Sie wartete ab sofort, wie sie selbst sagte, „auf‘t näxte Jahr“.

Jahre später erinnerten mich die Kinder, der guten münsteraner Bildung sei Dank, an den Brauch des Fastens. Sie fanden das spannend. Sie nahmen sich vor, nichts Süßes zu essen. Ganz die solidarische Mutter, schloss ich mich an. Worauf sollte ich verzichten? Kaffee hätte nahe gelegen. Der Familienrat hatte mich schon „ohne“ erlebt und entschied vorsichtshalber dagegen. Alkohol kam kurz ins Spiel, da hatte mich schon auf die Seite der Kinder geschlagen. Tapfer begannen wir mit dem Ohne. Nur der Liebste verzichtete auf das Verzichten. Wie oft mir das Mantra „vierzig Tage“ durch den Sinn zog? Gute Frage. Am Ende der Fastenzeit war ich jedenfalls drei Kilo schwerer. Die vielen Äpfel, Reiswaffeln und Möhren, die ich ersatzweise genascht hatte, waren wohl speckig auf der Hüfte gelandet.

Die Kinder mampften Ostern völlig unbeschwert ihre Schoko-Osterhasen. Ich sann nougatselig über die Rückgewinnung meiner Linie nach. Ein Jahr später war schon wieder Karneval, erneut dräute die Fastenzeit – mir wurde etwas bang. Der Liebste verwies pfiffig auf meinen zig Jahre währenden Fleischverzicht, ob das nicht…? So leicht wollte ich mir aber nicht davon kommen! Ausgerechnet beim netten Pastoralreferenten erblickte ich eine Bonboniere, prall gefüllt mit Schokobömskes. Auf meinen zaghaften Kommentar strahlte er: „Was, auf Schokolade verzichten?! Geht gar nicht! Mein Fasten heißt ‚Mir-täglich-etwas-Zeit-für-mich-nehmen‘!“ Beseelt hinterbrachte ich der Familie die Neuigkeit. Sie lobten mich und unterstützen bis heute mein Projekt, das über alle Jahresfeste, Sessionen und Fastenzeiten hinaus erfolgreich weiterläuft:

Vor Tau und Tag nehme ich mir etwas Zeit für mich. Was ich da tue? Meditatives Multitasken. Atmen, still sein, aus dem Fenster gucken. Alles gleichzeitig. Fasten? Find ich gut. Aschermittwoch ist gar nicht alles vorbei.

Unsere Gastautorin Iris Brandewiede hat unter dem Titel "Hausfrau & Mutter, berufstätig" ein Buch mit 13 toften Alltagsgeschichten beim Agenda Verlag Münster veröffentlicht (siehe auf agenda.de) und schreibt auch auf ihrer eigenen Homepage https://irisbrandewie.de/.

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