Wo Turmfalken fliegen lernen – Teil I Ein Interview mit Martje Thalmann zu ihrem 10-jährigen Jubiläum als Türmerin von Münster – die Fortsetzung folgt am Sonntag

Martje Thalmann tutet zum Glück meistens Friedenssignale. (Foto: Thomas Hölscher)

Die Lamberti-Kirche am Prinzipalmarkt ist ein beliebtes Fotomotiv. Und genau dort, hoch oben über den Dächern dieser geschichtsträchtigen Stadt, befindet sich der Arbeitsplatz von Martje Thalmann, der Türmerin von Münster. Vor genau 10 Jahren setzte sie hier einen eigenen historischen Meilenstein: Sie ist nämlich die erste Frau, die dieses Amt bekleidet. Das ist besonders beachtlich, wenn man bedenkt, dass der erste Türmer auf St. Lamberti im Jahre 1383 dokumentiert wurde.

Am Samstagabend nahm Martje uns von ALLES MÜNSTER mit – 300 Stufen nach oben und viele Jahre in die Vergangenheit.

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Liebe Martje, vielen Dank, dass wir bei Dir sein dürfen. Ganz so oft bekommst Du hier oben wahrscheinlich keinen Besuch?

Martje: Nein, tatsächlich nicht. Ist immer wieder ein Highlight, weil ich dann von meiner eigenen Begeisterung berichten kann. Also es ist immer schön, wenn jemand Interesse zeigt.

Du drehst immer zur halben und vollen Stunde Deine Runde um den Turm und hältst Ausschau. Wie verbringst Du die Zeit dazwischen, ist Dir auch mal langweilig?

Ein Ausblick, der niemals langweilig wird. (Foto: Thomas Hölscher)

Mir ist gar nicht langweilig, weil ich ganz viel recherchieren muss – und schreiben. Ich habe diesen Blog tuermerinvonmuenster.de  und da ist mein Auftrag eben, dass ich ihn immer mit aktuellen Sachen, was gerade in Münster wichtig ist, was auch vielleicht historisch wertvoll ist, mit Tradition und Brauchtumspflege zu tun hat, bestücke. Dann gucke ich immer im Stadtarchiv in Coerde oder es ist ja auch schon viel digitalisiert. Zum Beispiel: Wer waren die Männer vor mir? Wie sind deren Umstände gewesen? Oder auch zum Turmneubau: Was ist Sankt Lamberti? Wie sah das früher aus? Was hat es damit auf sich? Ganz viele Hintergrundgeschichten und sehr viel Historisches – das ist mein Spezialinteresse, deswegen finde ich auch toll, dass das dazugehört: Viel zu lesen, um viel schreiben zu können. Das passiert immer zwischen den Signalen.

Du feierst gerade Dein zehnjähriges Dienstjubiläum, herzlichen Glückwunsch! Hat sich in dieser Zeit irgendwas verändert für Dich?

Ich bin mir mit jeden Tag noch sicherer, dass das genau das Richtige ist. Beste Entscheidung meines Lebens. Und natürlich kriegt man auch ein bisschen Routine. Also ich muss nicht mehr darüber nachdenken: Oh Gott, oh Gott, die Glocken, jetzt muss ich raus! Ich hab mir meinen Wecker gestellt und geh ganz selbstverständlich die Dinge durch (es erklingt Glockenläuten). Jetzt zum Beispiel gerate ich auch nicht in Panik, weil es ist „Ding Ding Dong“, das heißt drei vergangene Viertelstunden. Ich habe also noch 15 Minuten Zeit.

Als Türmerin hat sie den Überblick über ganz Münster. (Foto: Thomas Hölscher)
Als Türmerin hat sie den Überblick über ganz Münster. (Foto: Thomas Hölscher)

Fällt Dir spontan ein, was Dein spannendstes oder schönstes Erlebnis war hier oben?

Oh ja. Das Schönste war, weil es so ans Herz geht, als eines der Turmfalken-Küken hier fliegen geübt hat. Das war noch nicht ganz so weit und hat sich dann ausgerechnet diese Höhe dazu ausgesucht, obwohl deren Rückzugsort ganz weit oben ist, an der Spitze. Und dann saß es auf dem Geländer, blickte mich an und ich hatte Sorge, dass es ‚runterfällt, wenn ich direkt daneben mit dem Horn tute. Aber es blieb einfach sitzen und guckte freundlich. Und als ich meine Runde beendet habe, saß es da immer noch. So niedlich, so ein Wildtier mitten in der Großstadt, toll.

Deine Aufgabe ist es ja, nach Feuer Ausschau zu halten…

…und Feinden.

Wie oft passiert denn sowas?

Man kann sich nicht darauf vorbereiten. Wenn es passiert, ist es da. Und dann habe ich den Ehrgeiz, auch wirklich ganz fix Meldungen zu machen, weil ich ja nicht will, dass was Schlimmes passiert. Und ich finde es sehr spannend, dass diese Aufgabe hier immer noch so dazu gehört. Es ist nicht wie an anderen Türmen in Europa, die touristisch zugänglich sind und nicht mehr viel mit der Vergangenheit zu tun haben. Hier ist es wirklich wichtig. Ein einziges Mal war ich die Erste, die einen Brand gemeldet hat. Es handelte sich um einen Unterholzbrand – in einem Waldgebiet hat einer irgendwelche Gartenabfälle verbrannt und ist dann abgehauen. Und dann ist es gut, wenn ich das rechtzeitig sehe. Sowas hätte sich noch ausbreiten und gefährlich werden können. Und damit bin ich ganz froh und die Feuerwehr auch. Gemeinschaftlich haben wir die Stadt gerettet. Es ist eine große Ehre, dass ich daran teilhaben kann.

Die Turmkammer, das Büro der Türmerin. (Foto: Thomas Hölscher)
Die Turmkammer, das Büro der Türmerin. (Foto: Thomas Hölscher)

Warum arbeitest Du eigentlich nur abends? Man braucht eine Türmerin doch auch zu den anderen Zeiten, wie zum Beispiel die restliche Nacht?

Wenn es nach mir ginge, gerne! Aber es ist einfach so, dass der Fokus auf der Traditionspflege liegt und dieses Brauchtum soll lebendig gehalten werden durch eine wirklich existierende Persönlichkeit im Turm. Aber es ist eben eine halbe Stelle im öffentlichen Dienst heutzutage. Das war mal ’ne ganze Stelle bis 1994. Da hat der Türmer um 22 Uhr abends angefangen, dafür aber bis 6 Uhr morgens im Turm ausgeharrt, wunderschön.

Das machte doch auch mehr Sinn, oder?

Total. Ganz viel passiert ja nach Mitternacht, wenn die Spitzbuben da unten eskalieren. Ganz früher gab es eine Tages- UND Nachtwache. Da haben sie sich abgewechselt, daher kommt der Begriff Nachtwächter. Das war der, der hier abends getutet hat. Und heute sind das Gästeführer, die Nachtwächter. Es ist ja auch sehr viel wert, dass wir schon so lange in diesen friedlichen Zeiten in Münster, der Friedensstadt, leben dürfen. Es ist nicht total sinnlos, dass es eine Türmerin gibt, aber es ist eben hauptsächlich Brauchtumspflege. Es wird aktiv am Leben gehalten, diese Tradition. Hinrichtungen gibt es zum Glück auch nicht mehr, denn damals war der Türmer daran beteiligt, in dem er nämlich hinterher die Straße sauber machen musste. Daher war der Türmer auch nicht so angesehen – er hatte mit dem Tod zu tun.

In der Turmkammer hängen nicht nur Fotos der Vorgänger, sondern auch von Türmer-Kollegen aus anderen Städten. (Foto: Thomas Hölscher)

Wieso hast Du als Türmerin ausgerechnet dienstags frei?

Das weiß man ja, weil seit 1383 am Dienstag keine Brände ausbrechen und keine Feinde kommen. Statistisch gesehen soll der Dienstag der sicherste Tag sein. Da passiert so selten was. Was bei anderen der Sonntag, ist der Dienstag für mich. Da wird alles erledigt, was ich sonst nicht schaffe.

Vermisst Du es nicht manchmal, abends zum Beispiel mit Deinem Mann auf der Couch zu sitzen oder ins Kino oder essen zu gehen?

Dafür ist der Dienstag da und der Urlaub, dieser Luxus, den man im öffentlichen Dienst hat.

Das heißt, Du hast eine Vertretung, wenn Du Urlaub machst oder mal krank bist?

Exakt. Das ist seit Ewigkeiten derselbe Mensch, der auch schon meinen Vorgänger vertreten hat. Deswegen weiß er schon wie’s geht. Und die Stadt bleibt niemals unbewacht – außer am Dienstag.

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Was Martje noch Spannendes aus ihrem Alltag zu berichten hat – und wie sie zu Billi Thanners Himmelsleiter steht – erfahrt Ihr im zweiten Teil am kommenden Sonntag.

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(Ergänzung vom Sonntag, 18.02.2024) Hier ist der direkte Link zum zweiten Teil des Interviews:

Wo Turmfalken fliegen lernen – Teil 2

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