Der kleine Markt freitags in Hiltrup ist beliebt, eben noch schnell vor der Schule ein Käsebrötchen holen oder am Gemüsestand die Einkäufe erledigen, für viele Bewohner des Vororts ist dies der geliebte Einstieg ins Wochenende. Und immer klimpern die Münzen oder wechseln Scheine den Besitzer. So wie im Eingangsbereich des Supermarkts beim Schuster. Schuhe besohlen lassen, Schlüssel nachmachen oder Einlegesohlen kaufen, kein Problem mit Bargeld. Mit der Karte bezahlen hingegen schon, auf der Theke klebt der deutliche Hinweis „Keine Kartenzahlung möglich“.
Ortswechsel: Ein kleiner See in Kanada, die Besucher genießen die Ruhe und das grandiose Bergpanorama. An einer kleinen Bude gibt‘s Kaffee und gekühlte Getränke. Der junge Mann hinter dem Tresen nimmt die Karte entgegen, zieht sie kurz durch das angedockte Lesegerät seines iPads, eine Sekundensache. Für Urlauber aus Deutschland ist der Besuch in vielen Ländern wie eine Reise in die Zukunft. „Wir mussten lange überlegen, wann wir das letzte Mal Bargeld in der Hand hatten“, berichtet Birte Jaschkowitz, die gebürtige Rheinländerin lebte mit ihrem Freund Huw Jones erst lange Zeit in Australien und seit fünf Jahren im kanadischen Whistler. Die Kreditkarte ist in beiden Ländern schon längst das Hauptzahlungsmittel, Bargeld spielt fast keine Rolle mehr. „Wenn uns Freunde zum Beispiel im Restaurant Geld geliehen haben, geben wir es meist in bar zurück“, schildert die 36-Jährige eine der seltenen Ausnahmen.
Wenn sie aus dem Haus geht, werden nur noch der Schlüssel, das Smartphone und die Karte eingesteckt. Bezahlt wird ohne PIN oder Unterschrift, lediglich per Bestätigung der Summe auf einem Display, bei Summen unter 50 oder 100 Dollar nur durch das kurze Anhalten der Karte an ein Lesegerät. Selbst bei Spendenveranstaltungen des Tierheims hat das Kartenlesegerät längst die Sammelbüchse ersetzt. „Ich habe wochenlang kein Bargeld im Portemonnaie“, berichtet Birte Jaschkowitz. Wenn sie ihre Freunde oder die Familie in Deutschland besucht, ist Umdenken angesagt: „In Deutschland ist es Teil des Alltags, zum Bargeldautomaten zu gehen. Ich finde es schwierig, dass ich mich nicht darauf verlassen kann, ob die Kreditkarte angenommen wird. Oft erlebe ich dann diesen ‚natürlich nicht‘ Blick“, berichtet sie lachend.
Für den münsterschen Bäcker Georg Uekötter ist dies kaum vorstellbar und viel zu umständlich: „Wenn Studenten oder Schüler zu uns kommen, um eben schnell eine Rosinenschnecke zu kaufen, greifen die einfach in die Hosentasche und geben mir das Geld. Ich selber habe gar keine Karte in der Tasche. Nur wenn ich in den Urlaub fahre, habe ich eine dabei, für den Notfall.“ Im Skiurlaub beobachtet er immer die langen Schlangen an den Schaltern, an denen mit Karte bezahlt wird. Das Eingeben der PIN oder das Unterschreiben kostet Zeit.
Die Deutschen im Allgemeinen und die Münsteraner im Speziellen scheinen sich nur zögerlich vom Bargeld trennen zu wollen: „Wir richten uns nach den Wünschen unserer Kunden und hier spielt das Bargeld noch immer eine große Rolle, auch wenn inzwischen über die Hälfte aller Zahlungen mit der Karte erfolgen“, sagt Andreas Nienhaus, Geschäftsführer des Media Marktes in Münster. Mindestbeträge für die Kartenzahlung gibt es in seinem Geschäft nicht mehr. „Die Bankgebühren sind inzwischen so niedrig, dass es hierfür keinen Grund mehr gibt. Vielleicht ist es das typisch westfälische Sicherheitsdenken, das viele Menschen bei uns noch am Bargeld festhalten lässt“, vermutet Nienhaus schmunzelnd und fügt etwas ernster hinzu, dass es für viele Kunden attraktiver sei, in bar zu bezahlen. So geht es auch Simone Heuer, die am Stand vom Bäcker Uekötter ein großes Hausbrot für den 80. Geburtstag ihres Vaters kauft: „Wenn ich in bar bezahle, habe ich einen besseren Überblick über das was ich ausgebe. Ist das Portemonnaie alle, kann ich nichts mehr ausgeben!“. Besonders schade findet sie, dass man im Urlaub beim Bezahlen nicht mehr die ausländischen Scheine und Münzen in der Hand hält, sondern lediglich die heimische Kreditkarte.
Misstrauen die Münsteraner dem Plastikgeld, egal ob es sich um Kredit- oder Debit-Karten (ehemals EC-Karten) handelt? „Das Misstrauen der Kunden richtet sich vornehmlich gegen pauschale Forderungen nach der kompletten Abschaffung von Bargeld“, sagt Max Gerenkamp, Experte für die Themen Kartenzahlung und elektronische Zahlungsmittel bei der Sparkasse Münsterland Ost und fährt fort: „Beim Thema Bargeld geht es vielen Menschen nicht zuletzt auch um Unabhängigkeit, Datenschutz und die Möglichkeit der Anonymität beim Bezahlen.“ Ähnlich wie Nienhaus orientieren sich auch die Banken an den Vorlieben der Kunden, freuen sich aber auch über die langsam wachsende Akzeptanz der Kartenzahlung: “Wir fahren jeden Tag hunderte Kilometer quer durch Münster und den Kreis Warendorf um mehrere Wagenladungen an Bargeld von A nach B zu transportieren, Geldautomaten aufzufüllen und diese zu warten“, neben dem praktischen Aspekt führt Gerenkamp in diesem Zusammenhang auch den Umweltgedanken ins Feld. Außerdem sei Bargeld eine wortwörtlich teure Angelegenheit: „Jede Rolle Münzgeld verursacht, bevor sie beim Kunden ankommt, Produktionskosten durch das Zählen, Prüfen und Rollen der Münzen, den Weitertransport, die Verteilung auf einzelne Standorte und schließlich die händische Ausgabe durch einen Mitarbeiter.“ Die Vorteile der Karte sieht der Bankexperte unter anderem beim geringeren Verlust- und Diebstahlrisiko, dem Schutz vor Falschgeld und bei der Widerspruchsmöglichkeit bei unberechtigten Umsätzen.
Uekötter, Nienhaus und Gerenkamp sind sich sicher, dass der elektronischen Zahlweise die Zukunft gehört. „Die nächste Generation wird sicher anders denken. Auch auf dem Markt“, sagt Georg Uekötter, während er die Brötchen für den nächsten Kunden einpackt. „Durch die immer stärkere Verknüpfung mit dem Netz wird das Zahlen mit dem Smartphone sicher zunehmen“, glaubt der Media Markt Chef Nienhaus. „Dem technischen Fortschritt sind kaum Grenzen gesetzt“, sagt Max Gerenkamp von der Sparkasse Münsterland Ost und fügt hinzu: „Was heute noch nicht vorstellbar erscheint oder mit einer gewissen Skepsis betrachtet wird, ist morgen vielleicht schon Realität.“ Er sieht die Zukunft beim kontaktlosen Bezahlen mit der Kreditkarte oder dem Smartphone. Voraussetzung ist die Zunahme der Geschäfte, in denen auf diese Weise bezahlt werden kann und die Anhebung der Höchstbeträge, die bezahlt werden können.
Bleibt noch die Frage, wie man den Menschen etwas Gutes tun kann, die in der Fußgängerzone, vor dem Museum für Lackkunst oder am Hauptbahnhof um einen Euro bitten? Die Antwort liefert das bargeldloseste Land der Welt, Schweden. Mit der App Swish wird dort Geld vom eigenen Smartphone auf das einer anderen Person transferiert. Innerhalb von Sekunden.
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Wenn man sich beispielsweise diesen Artikel der ZEIT durchliest, ahnt man, warum häufig nur Bargeld akzeptiert wird:
http://www.zeit.de/2014/09/steuerhinterziehung-gastronomie