Jazzfestival: Neues und Bewährtes am 2. Tag Nicht nur ungewohnte Klangfarben waren am Samstag beim 27. Jazzfestival Münster zu hören

Westfalen-Jazz-Preisträger Florian Walter bei seinem kurzen Saxophon-Solo im Großen Haus. (Foto: Stephan Günther)
Westfalen-Jazz-Preisträger Florian Walter bei seinem kurzen Saxophon-Solo im Großen Haus. (Foto: Stephan Günther)

Wem am ersten Festivaltag am Freitag Abend zu gefällig war und bei den Konzerten die Ecken und Kanten gefehlt hatten, der bekam am Samstag wenigstens ein paar Einblicke, in welche Richtungen der Jazz sich auch noch bewegen kann.

Am weitesten ging dabei Florian Walter, der in diesem Jahr den Preis „Westfalen-Jazz“ erhalten hat. Im Großen Haus durfte er nach der Preisverleihung allerdings nur mit einem gut zehnminütigen, aber sehr kraftvollen Solo zeigen, was aus einem Saxophon so alles an Tönen herauszuholen ist. „Wenn der Jazz eine Nische ist, dann besetzt Florian Walter eine Nische innerhalb dieser Nische,“ hatte Festival-Leiter Fritz Schmücker als einer der drei Juroren für diesen Preis festgestellt.

Tatsächlich war auch das, was der Preisträger mit seinem Projekt „Feldmodul“ zuvor am Nachmittag im Kleinen Haus präsentiert hatte, selbst für geübte Jazzkonzert-Besucher ungewohnte Kost: mitunter beängstigende Klänge holte er aus seinem ungewöhnlichen Instrument, dem Tubax, hervor, einer relativ neuen Weiterentwicklung aus Tuba und Bass-Saxophon. Begleitet wurde er von Florian Hartlieb mit live gespielten Electronic-Sounds und Anastasija Delidova, die für sehr künstlerische visuelle Effekte sorgte. Damit diese wirken konnten, saßen alle nahezu im Dunkeln, und erlebten einen Auftritt, der so in Münster wohl am ehesten vor viel kleineren Runden in der Blackbox im Cuba oder bei Absolventen der Fylmklasse der Kunstakademie zu erwarten ist. Florian Walter nutzte aber nach der Preisverleihung die Gelegenheit, für ein größeres Publikum zu werben: „Kommen Sie und bringen Sie Freunde mit – auch auf die Gefahr hin, dass es denen nicht gefällt.“ Ob das wohl hilft?

Die Estin Kadri Voorand malte frische Klangfarben auf die Bühne. (Foto: Stephan Günther)
Die Estin Kadri Voorand malte frische Klangfarben auf die Bühne. (Foto: Stephan Günther)

Eine weitere Farbe in das Klangspektrum brachte das Konzert von Kadri Voorand und Mihkel Mälgand aus Estland. Mit viel Witz begeisterte die Sängerin und Pianistin Kadri Voorand das westfälische Publikum, und das tat sie auf sehr vielfätlige Weise. Sie nutzte eine kleine Sammlung elektronischer Geräte, um ihre Stimme, das Klavier oder andere kleine Instrumente zu verfremden und zu loopen. Sie improvisierte gerade beim Singen sehr viel, wechselte dabei von ihrem nur selten folkig klingendem Sopran unvermittelt in jazzigen Scat-Gesang. Und immer mal wieder vom Englischen ins Deutsche, um zu übersetzen oder um zu kommentieren, was sie da gerade tut – das konnte auch das Blättern nach dem nächsten Stück sein. Und schließlich spielte sie das Lied mit der Aufforderung an sich selbst auch pantomimisch: „Ich muss aufhören, so viel Schokolade zu essen“. Ihr Begleiter Mihkel Mälgand ordnete sich diesem Spektakel meistens unter und unterstützte Kadri Voorand mit seinem soliden Spiel am Bass, er setzte nur hier und da kleine eigene Akzente.

Wem das Ganze zu schräg war oder gar zu viele Ecken und Kanten hatte, konnte sich bei den letzten beiden Acts entspannt zurücklehnen. Denn sowohl das amerikanische Quartett „Throw A Glass“ als auch das Henri Texier Sand Quintet aus Frankreich standen wenigstens mit einem Fuß im swingenden Mainstream-Jazz. Erst so nach und nach ließen die Amerikaner um den Cellisten Erik Friedlander und den Pianisten Uri Caine auch hören, dass sie sich nach einer Skulptur von Pablo Picasso benannt haben. Mit jedem neuen Stück traten sie etwas weiter aus den ausgetretenen Pfaden des Hard Bop heraus, wurden expressiver und passten dann schließlich doch zu den namengebenden Absinthgläsern von Picasso, die im New Yorker Museum of Modern Art zu bewundern sein sollen. So war es am Ende doch fast die „rauschhafte Reise durch die Musik“, wie Fritz Schmücker es in der Anmoderation versprochen hatte.

Münsteraner Festival-Routinier Henri Texier dirigierte sein Sand-Quintett aus dem Hintergrund. (Foto: Stephan Günther)
Münsteraner Festival-Routinier Henri Texier dirigierte sein Sand-Quintett aus dem Hintergrund. (Foto: Stephan Günther)

Beim Sand Quintet um den Bassisten Henri Texier war es eher umgekehrt: nahezu jeder Titel begann mit einem orientalisch oder nordafrikanisch anmutendem Thema, das dann reihum jedem Mitglied die Plattform für ausgiebige Soli bot. Und das in jedem Stück! Da war es dann auch egal, ob die Komposition von 1975 stammte oder ganz frisch war und in Münster zum ersten Mal auf der Bühne präsentiert wurde. Henri Texier ist ein alter Hase auf diesem Festival, er ist mit unterschiedlichen Besetzungen schon mehrmals in Münster aufgetreten und weiß, was das Publikum mag. Das war übrigens auch ganz hin und weg vom ersten Act des Abends im Großen Haus, dem französisch-amerikanischen Projekt „Perpetual Motion“ zu Ehren des vor 20 Jahren in Münster verstorbenen Musikers Louis Thomas Hardin, besser bekannt als Moondog. Neben Saxophonen, Flöten, Piano und Perkussions-Instrumenten setzte das Sextett wie schon auf ihrem 2014 erschienenen Album allerlei Umweltgeräusche aus dem Großstadtleben ein, aber auch Smartphones und eine Lochstreifen-Spieluhr. Und als Zugabe erklang schließlich Moondogs wohl bekannteste Melodie „Bird’s Lament“ als kurzer, schneller Rocksong. Gerade in diesem Jubiläumsjahr wäre es wirklich zu wünschen, dass seine Kompositionen öfter zu hören sind – nicht nur hier in Münster.

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