Erste Theater-Premiere nach Lockdown Wolfgang Borchert Theater holte die für Dezember geplante Premiere für Daniel Kehlmanns „Heilig Abend" nach

An einem unbekannten Ort versucht der Ermittler, einen Terroranschlag zu verhindern. (Foto: Klaus Lefebvre)
An einem unbekannten Ort versucht der Ermittler, einen Terroranschlag zu verhindern. (Foto: Klaus Lefebvre)

Nach langer Pandemiepause werden im Wolfgang Borchert Theater endlich wieder Geschichten auf die Bühne gebracht. Mit Daniel Kehlmanns Stück „Heilig Abend“ feiert ein Stück Premiere, welches die zeitgenössische Gewalt- und Gerechtigkeitsdebatte ausschließlich vor dem Hintergrund einer Verhörsituation in einem Kammerspiel behandelt. Spannung wird dadurch erzeugt, dass der Ermittler einen möglichen Terroranschlag vereiteln möchte, der wohl unmittelbar bevorstehen könnte.

Endlich werden während der Pandemie wieder Stücke aufgeführt – und dies ist schon selbst ein Ereignis für sich. Die Premiere musste vom letzten Winter auf den Sommer verschoben werden. Wie aus der Zeit gefallen verweist der Mini-Tannenbaum auf dem Schreibtisch als einziges dekoratives Bühnenelement auf die Weihnachtszeit, in der das Stück spielt.

Bei fast hochsommerlichen Temperaturen nimmt das Publikum die Plätze in Schachbrettanordnung ein – die Plätze vor, neben und hinter einem bleiben frei. Das Verlassen des Saales wird später von der Verwaltungsleitung organisiert. Es erinnert ein wenig an die starren Regeln bei einem Schulausflug.

Auch während des Stückes behalten die Zuschauer die medizinischen Masken auf. Der Blick ins Publikum steigert die beklemmende Atmosphäre, die durch das Bühnenbild vermittelt wird. Dort befindet sich das Verhörzimmer, welches sich an einem unbekannten Ort befindet. Wir sehen den ganzen Abend nur einen Tisch, zwei unbequeme Stühle, eine Normalität vorgaukelnde Kaffeemaschine, die sich auf einem Bürokühlschrank befindet, eine Lichtinstallation und eine dominierende überdimensionale Digitaluhr, die die Zeit sekundengenau anzeigt.

In der Eingangsszene wird die Frau sichtbar gegen ihren Willen vom Ermittler in Handschellen abgeführt und zu diesem unwirklichen Ort gebracht.

Die Uhr startet punkt halb elf. Die Startaufstellung ist erreicht. Ein offensichtlich allwissender Ermittler beherrscht die Szenerie, während sie sich auf eine Stuhlecke zusammenkauert. Der Zuschauer ahnt, dass dieses Spiel neunzig Minuten bis Mitternacht dauern wird. Und fast wirkt der weitere Abend wie ein Fußballspiel, bei dem der Underdog ein Tor in der ersten Minute geschossen hat und nur noch das Ergebnis verteidigt.

„Wir brauchen keine Gerechtigkeit, wir brauchen eine Geschichte.“

Der Ermittler weiß alle Fakten über die – wie sich später herausstellt – Philosophieprofessorin: Ihre Kindheit, Ausbildung, belastetes Verhältnis zu den Eltern, Beziehung zum Ex-Mann und akademisches Werk. Das beschäftigt sich umfangreich mit der Analyse und dem Umgang mit Gewalt.

Sie dagegen bleibt während des gesamten Stückes vergleichsweise defensiv. Allerdings erkämpft sie sich innerhalb des Dialogs und räumlich auf der Bühne immer mehr Platz. Und am Ende wird sie gewonnen haben.
Mulmig mutet es schon an, mit welchen technischen Methoden der Ermittler sein Wissen erworben hat. Es gehört zu den Stärken des Stückes, dass Kehlmann nicht vorgibt, auf wessen Seite sich die Zuschauer schlagen sollen. Leider werden zu viele Aspekte in so kurzer Zeit behandelt, weswegen der „High Noon“-Spannungsaufbau durch das Streitgespräch zu stark überlagert wird.

Ivana Langmajer und Markus Hennes spielen ihre Figuren sehr ausdrucksstark und es ist ein Vergnügen, ihnen bei ihrem Parforceritt durch das Gesprächsduell zu folgen. Leider verlässt sich die Inszenierung nicht auf die schauspielerische Qualität. Die Lichtinstallation unterbricht regelmäßig das direkte Duell der Figuren. Es ist auch nicht notwendig, den parallelen Handlungsstrang kurzfristig auf der Leinwand zu zeigen. Die Phantasie des Publikums hätte ausgereicht.

Trotzdem ist der langanhaltende Schlussapplaus gerechtfertigt. Das Stück bietet den Zuschauern zahlreiche Impulse, sich auch nach diesem Abend mit den aufgeworfenen zeitkritischen Fragen kontrovers zu beschäftigen.

Abgesehen von heute Abend (6. Juni, 18 Uhr) sind noch keine weiteren Aufführungstermine für "Heilig Abend" bekannt gegeben, es sind aber welche geplant. Nicht nur dafür, sondern auch für die aktuell gültigen Maßnahmen zum Schutz vor Covid-19 schaut ihr am besten auf die Homepage des WBT: www.wolfgang-borchert-theater.de/stuecke/heilig-abend

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