Erfassung von Kennzeichen: „Klare Grenzen“ David Annussek hat über die automatisierte Überprüfung von Autokennzeichen promoviert

(Symbolbild: Kara_Stock / stock.adobe.com)
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David Annussek hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) über das Thema der Überprüfung von Autokennzeichen promoviert und erläutert das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil der automatischen Erfassung von Auto-Kennzeichen enge Grenzen gesetzt. So stellten die Richter beispielsweise klar, dass die Registrierung einen konkreten Anlass „und dem Schutz wichtiger Rechtsgüter dienen muss“. Dr. David Annussek hat sich in seiner an der Universität Münster verfassten Dissertation mit den rechtlichen Aspekten einer automatisierten Überprüfung von Autokennzeichen intensiv beschäftigt – er erläutert im Gespräch mit Norbert Robers die Hintergründe und Konsequenzen aus dem Urteil des höchsten deutschen Gerichts.

Haben Sie dieses Urteil so erwartet?

Schon 2008 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es der Kennzeichenerfassung eine potenziell hohe Eingriffsintensität zuschreibt und genau darauf abgestimmte Voraussetzungen gefordert. Die aktuelle Entscheidung konkretisiert diese Rechtsprechung. Notwendig – aber auch ausreichend – ist eine hinreichende Begrenzung der jeweiligen Ermächtigung. Konkret heißt das: Je weniger gewichtig das mit der Kennzeichenerfassung verfolgte Ziel ist, desto engere Grenzen hat der Gesetzgeber zu beachten. Allerdings zeigt das Bundesverfassungsgericht den Ländern durchaus Gestaltungsspielräume auf. So kommt als ,konkreter Anlass‘ nicht nur eine konkret bestehende Gefahr in Betracht, sondern auch abstrakte Gefahrenlagen oder auch schon eine spezifisch gesteigerte Wahrscheinlichkeit dafür, mit der Kontrolle gesuchte Personen oder Sachen zu finden. Die Kennzeichenerfassung kommt zudem nicht nur zum Schutz von Rechtsgütern von erheblichem Gewicht,
unter anderem Leib und Leben, in Betracht, sondern auch zum Schutz von nicht unerheblichen Sachwerten oder zur Bekämpfung von gewichtigen Ordnungswidrigkeiten. Letzteres allerdings nur, wenn die Kennzeichenerfassung für deren Bekämpfung von besonderer Bedeutung ist.

Hat das Gericht damit nicht sein eigenes Urteil aus dem Jahr 2008, in dem es die Kennzeichenkontrolle als kaum grundrechtsrelevant eingestuft hat, revidiert?

Die potenziell hohe Eingriffsintensität wurde vom Bundesverfassungsgericht schon 2008 betont. Eine Rechtsprechungsänderung liegt allerdings insoweit vor, als das Bundesverfassungsgericht nunmehr annimmt, ein Grundrechtseingriff liege gegenüber jedem vor, dessen Kennzeichen im Rahmen der Kontrolle erfasst und abgeglichen wird, auch bei sogenannten Nichttreffern. Hierzu muss man wissen, dass die Kennzeichenkontrolle aus mindestens zwei Schritten der Datenverarbeitung besteht. Das Kennzeichen wird zunächst mittels Kameratechnik erfasst und dann computergestützt mit einer Datenbank abgeglichen. Bei einem Nichttreffer ist das erfasste Kennzeichen nicht in der Datenbank enthalten. Der Abgleich fällt negativ aus und die Erfassung wird – anders als im Treffer-Fall – weder gespeichert, noch führt sie zu weiteren polizeilichen Maßnahmen. Nach der neuen Rechtsprechung stellen bereits die Erfassung und der Abgleich Eingriffe dar. Maßgeblich sei, dass gezielt mittels Datenabgleich Personen im öffentlichen Raum daraufhin überprüft werden, ob sie oder die von ihnen mitgeführten Sachen polizeilich gesucht werden. Diese Eingriffs-Definition ist nicht nur für die Kennzeichenerfassung relevant, sondern auch für vergleichbare Maßnahmen, etwa Gesichtsscanner.

Zur sogenannten Gefahrenabwehr soll diese Praxis allerdings erhalten bleiben…

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gefahrenabwehr betreffen allein die Frage, wer die Kennzeichenerfassung gesetzlich regeln darf. Dazu stellt das Gericht klar: Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die Kennzeichenerfassung erfolgen soll. Einen Einsatz zur Strafverfolgung darf nur der Bund regeln. Die Länder dürfen nur den Einsatz zur Gefahrenabwehr regeln.

Kann man mit dem Begriff der Gefahrenabwehr nicht mehr oder weniger alles begründen?

Dieser juristische Fachbegriff ist klar definiert. Es muss den Ländern um die Abwehr von Gefahren für Individualrechtsgüter, zum Beispiel Gesundheit, Leben und Eigentum, oder um die Vermeidung beziehungsweise Beendigung rechtswidrigen Verhaltens gehen. Es darf nicht darum gehen, Straftäter zu verfolgen. Das Problematische an dieser Unterscheidung ist, dass Gefahrenabwehr und Strafverfolgung oft nahe beieinanderliegen. Die Suche nach einem gestohlenen Auto kann einerseits den Zweck verfolgen, den Dieb zu ergreifen, also der Strafverfolgung, andererseits kann sie darauf abzielen, zu verhindern, dass mit dem gestohlenen Auto Folgestraftaten begangen werden – das ist das Feld der Gefahrenabwehr. Die ,rein‘ tatsächlichen Wirkungen einer Maßnahme sind zudem nicht immer deckungsgleich mit den bezweckten. Befindet sich in einem gestohlenen Auto der Dieb, führt die zum Zwecke der Gefahrenabwehr durchgeführte Kennzeichenerfassung gleichzeitig zu seiner Strafverfolgung. Das führt aber
gerade nicht dazu, dass sich mit dem Begriff der Gefahrenabwehr ,mehr oder weniger alles‘ begründen lässt. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass die Kompetenzen dennoch ,sorgfältig zu unterscheiden sind‘. Ebenso wenig wie die Länder unter Berufung auf die Gefahrenabwehr Regelungen erlassen dürfen, die der Strafverfolgung dienen sollen, darf der Bund unter Berufung auf die Strafverfolgung Regelungen erlassen, mit denen er eine allgemeine Gefahrenabwehr bezweckt. Das Bundesverfassungsgericht verlangt daher, dass sich der jeweils verfolgte Zweck ,in objektivierter Sicht‘ aus der Regelung ergeben muss. Gefragt wird: Dient eine Regelung objektiv dem Zweck der Gefahrenabwehr oder dem Zweck der Strafverfolgung? Dies kontrolliert am Ende das Bundesverfassungsgericht.

Sie haben in Ihrer Dissertation gezeigt, dass es unterschiedliche Praktiken in unterschiedlichen Bundesländern gibt. Wäre es vor dem Hintergrund des jetzigen Urteils nicht geboten, eine bundesweit einheitliche Regelung einzuführen?

Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes wäre eine einheitliche Regelung auf Bundesebene nur für Zwecke der Strafverfolgung möglich. Einen Einsatz der Kennzeichenerfassung zur allgemeinen Gefahrenabwehr dürfen dagegen nur die Länder regeln. Insbesondere ist jedes Bundesland frei, innerhalb des vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Spielraums unterschiedlich ausgestaltete Regelungen zu treffen. Das ist Konsequenz unseres föderalistischen Systems und im Polizeirecht nicht nur üblich, sondern durchaus sinnvoll. Denn je nach Bundesland kann die Gefahrenlage anders zu beurteilen sein, weshalb auch das Bedürfnis für einen gefahrenabwehrenden Einsatz der Kennzeichenerfassung unterschiedlich ausfallen kann.

Können Sie nachvollziehen, dass die Strafverfolgungsbehörden dieses Urteil nicht besonders positiv beurteilen, weil ihnen damit ein unter Umständen hilfreiches Instrument zum Aufspüren von Straftätern verwehrt wird?

Dass die Strafverfolgungsbehörden zur Strafverfolgung nicht über dieses Instrument verfügen, ist eine Entscheidung des Bundes. Und einem Einsatz zu Zwecken der Gefahrenabwehr erteilt das Urteil keineswegs eine Absage, sondern stellt klar, dass die Länder nicht am Erlass einer gefahrenabwehrenden Regelung gehindert sind. Dies deckt sich mit dem Ergebnis meiner Untersuchung. Darin zeige ich, dass der den Ländern unter dem Gesichtspunkt der Gesetzgebungszuständigkeit zustehende Gestaltungsspielraum beim Erlass von Ermächtigungen zur automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfung erheblich weiter ist, als von den Kritikern landesrechtlicher Regelungen angenommen.

Das Interview führte Norbert Robers von der WWU.

Zur Person

David Annussek studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und promovierte an der WWU bei Prof. Dr. Bodo Pieroth zum Thema "Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenüberprüfung in den Ländern – eine verfassungsrechtliche Bewertung unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungszuständigkeit". Derzeit arbeitet er als Rechtsanwalt in einer Düsseldorfer Sozietät.

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