„Deutsche Medizinethik erheblich geprägt“ Bielefelder Wissenschaftspreis 2020 geht an Prof. Bettina Schöne-Seifert aus Münster

Prof. Bettina Schöne-Seifert ist die diesjährige Preisträgerin des „Bielefelder Wissenschaftspreises“ (Foto: privat)

Der „Bielefelder Wissenschaftspreis“ geht in diesem Jahr an eine Pionierin der modernen Medizinethik, die münstersche Professorin für Medizinethik Bettina Schöne-Seifert. Der Preis wird im Gedenken an den bekannten Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann alle zwei Jahre von der Stiftung der Sparkasse Bielefeld vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Mit ihren einflussreichen Beiträgen habe die Hochschullehrerin der Universität Münster die deutsche Medizinethik sowie praktisch alle Debatten, die in den letzten dreißig Jahren hierzu in Deutschland geführt wurden, erheblich geprägt.

„Bis heute hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass sich die Moral von Ärztinnen und Ärzten wesentlich an dem aus der Antike stammenden Hippokratischen Eid bemisst. Dabei hat sich die medizinische Ethik in den letzten Jahrzehnten längst von dieser herkömmlichen Standesethik gelöst“, erläutert Jury-Vorsitzende und Rektor der Bielefelder Universität, Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, die Entscheidung des Auswahlgremiums. Die heutige Medizinethik bilde eine vielfach aufgefächerte, hochprofessionelle Disziplin, die wesentlich zur Bewältigung der Probleme der modernen Medizin beitrage. „Frau Schöne-Seifert hat in diesem Prozess in Deutschland eine führende Rolle gespielt.“

Die Preisträgerin war neun Jahre lang Mitglied des Deutschen Ethikrates und ist bis heute in zahlreichen Akademien und Kommissionen aktiv. Schon während ihres Studiums in Freiburg, Göttingen, Wien, Los Angeles und Washington DC hat sie sich parallel mit Medizin und Philosophie auseinandergesetzt. Sie ist promovierte Ärztin und zugleich habilitierte Philosophin. In den USA lernte sie aus erster Hand die Diskussionskultur der sich damals gerade entwickelnden biomedizinischen Ethik kennen. Kennzeichnend für diese sind die Betonung sorgfältiger analytischer Argumentationen, die naturwissenschaftliche Fundierung und die liberale, menschenrechtlich geprägte Grundhaltung.

Schöne-Seifert habe „dieses Verständnis medizinischer Ethik in Deutschland kenntnisreich und meinungsstark umgesetzt“, heißt es in der Jurybegründung. Zu den gesellschaftlichen Debatten, an denen sie sich engagiert beteiligt habe, zählten Hirntod, Embryonenforschung, Sterbehilfe, Organtransplantation, Neurowissenschaften, dementielle Erkrankungen, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, Impfpflicht und Komplementärmedizin. Hier, wie auch allgemein, beziehe Bettina Schöne-Seifert stets klar Position, bescheinigt ihr die Jury. Sie scheue auch nicht vor öffentlichem Streit zurück, wie ihre Kritik an der Homöopathie belege. Zum anderen sei sie eine der führenden Theoretikerinnen der Patientenautonomie. „Ihre Position ist dabei bestimmt von einer großen Freiheitsliebe und tiefem Misstrauen gegenüber allen paternalistischen Tendenzen in der Medizinethik“, so die Jury.

Dass die Preisträgerin sowohl Medizinerin als auch Philosophin ist, merke man ihren Veröffentlichungen und öffentlichen Auftritten immer wieder an. Sie schaffe es wie kaum jemand anderes in Deutschland, die Brücke zwischen konkreten Anliegen der medizinethischen Praxis und hoch abstrakten moralphilosophischen Debatten zu schlagen, ohne auf einer der beiden Seiten Abstriche bei den professionellen Standards machen zu müssen. Dadurch habe die Preisträgerin einen einzigartigen Einfluss sowohl auf die klinische Ethik als auch die systematische Philosophie.

Ein gutes Bild von der Breite ihrer Überlegungen vermittele auch ihr Lehrbuch über die „Grundlagen der Medizinethik“. Es stehe für eine weitere herausragende Eigenschaft der Preisträgerin: ihr Bemühen um die Vermittlung medizinethischer Inhalte in der Lehre, an angehende Ärztinnen und Ärzte. Die Jury sei daher überzeugt, dass mit dem Wissenschaftspreis eine Forscherin geehrt wird, „die nicht nur ausgezeichnete medizinethische Forschungsergebnisse vorzuweisen hat, sondern auch dafür arbeitet, dass diese den Menschen unmittelbar zugutekommen.“

Der „Bielefelder Wissenschaftspreis“ wurde 2004 in Leben gerufen. Auslober ist die Stiftung der Sparkasse Bielefeld, die die Auszeichnung in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Bielefeld und der Universität Bielefeld vergibt. Der Award richtet sich an in- und ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insbesondere der Gesellschafts-, Sozial- und Lebenswissenschaften. Mit Schöne-Seifert erhält erstmals eine Medizinerin den „Bielefelder Wissenschaftspreis“. Die Übergabe findet voraussichtlich im Frühsommer 2021 statt.

Neuerscheinung von Bettina Schöne-Seifert: "Beim Sterben helfen – dürfen wir das?" Verlag J.B. Metzler 2020 (117 S.).

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