Zufluchtsorte aus Europaletten Architekturstudenten zeigen Entwürfe für Flüchtlingsunterkünfte

Dieser Turm soll den Bewohnern eines Flüchtlingslagers Überblick verschaffen. (Foto: Michael Bührke)
Dieser Turm soll den Bewohnern eines Flüchtlingslagers Überblick verschaffen. (Foto: Michael Bührke)

„Zufluchtsorte müssen heilsam sein, man muss zur Ruhe kommen können“, erklärt Professor Joachim Gardemann, Leiter des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe an der Fachhochschule Münster. Eine öffentliche Ausstellung im Foyer der Bezirksregierung widmet sich unter dem Titel „Zufluchtsorte“ aktuell der Frage, wie Menschen, die vor Krieg, Hunger oder Terror aus ihrer Heimat fliehen mussten, in Würde untergebracht werden können. Mögliche Antworten liefern Studierende des Fachbereichs Architektur, der Münster School of Architecture.

Gardemann kennt wie nur wenige die Umstände, unter denen Menschen auf der Flucht mitunter leben müssen. „Ich habe zum Beispiel in einem Flüchtlingslager in Tansania gearbeitet, in dem eine Million Menschen untergebracht waren. Diese Lager sind immer ebenerdig und wir haben einen Turm gebaut, damit sich die Bewohner einen Überblick darüber verschaffen konnten, wie es um sie herum aussieht“, berichtet der Mediziner. Wichtig war den Studierenden und den Initiatoren dieses Projektes, dass die Gebäudeentwürfe nicht nur praktikabel sind, sondern auch soziale Funktionen übernehmen, damit sich auch Freundschaften entwickeln können. „Es gibt die Theorie der Maslow Pyramide“, erläutert der Student Majd Almoussallam und fährt fort: „Das Fundament bilden hierbei die Grundbedürfnisse wie Essen oder Schlafen. Dann kommt das Bedürfnis nach Sicherheit, soziale Aspekte, individuelle Bedürfnisse und als Spitze der Pyramide die Möglichkeit der Selbstverwirklichung“ berichtet der junge Mann, der vor zweieinhalb Jahren aus Syrien geflohen ist. Diese Aspekte flossen in die Entwürfe der Nachwuchsarchitekten ein. Berücksichtigt wurde auch die Frage, welche Materialien vor Ort verfügbar sind, so spielen zum Beispiel Europaletten eine zentrale Rolle bei manchen Entwürfen.

Während der Ausstellungseröfnung im Foyer der Bezirksregierung. (Foto: Michael Bührke)
Während der Ausstellungseröfnung im Foyer der Bezirksregierung. (Foto: Michael Bührke)

„Vor ziemlich genau drei Jahren hatten wir hier in der Bezirksregierung jeden Tag Krisensitzung“, erinnert sich die Regierungspräsidentin Dorothee Feller. Anlass waren die durchschnittlich 3.000 bis 4.000 Flüchtlinge, die pro Woche im Regierungsbezirk untergebracht werden mussten, „damals war bei uns nie ein Flüchtling obdachlos und darauf können wir sehr stolz sein“, sagt die Juristin. Allerdings sei die damalige Atmosphäre der Toleranz und Hilfsbereitschaft inzwischen einer eher gereizten Stimmung gewichen, wie die 52-Jährige berichtet. Die aktuelle Ausstellung soll daher auch zeigen, worüber überhaupt gesprochen wird, wenn es um Flüchtlinge geht, schließlich würde nur ein geringer Teil der Menschen nach Europa fliehen, der größte Prozentsatz der Menschen lebt in den meist ebenfalls armen Nachbarländern, sagt Feller.

Der Dekan der Münster School of Architecture, Prof. Victor Mani, beklagt, dass die Architektur noch immer viel zu sehr auf den Begriff „schön“ reduziert wird, dabei sei es seiner Meinung nach bedeutsamer, ob die Architektur auch „wichtig“ ist. Münsters Sozialdezernentin Cornelia Wilkens sieht die Sache mit Blick auf die Unterbringung der über 2.000 Flüchtlinge, die aktuell in der Stadt noch in Flüchtlingsunterkünften leben müssen, eher pragmatisch. „Es ging zunächst darum, überhaupt die Strukturen zu schaffen, um die vielen Menschen unterzubringen. Dabei ging es neben der Wohnlichkeit aber auch um die Frage, ob die Unterkünfte später als normaler Wohnraum weiter genutzt werden können“.

Ein mobiler Zufluchtsort: Dieser ehemalige Linienbus wurde zur mobilen Kita umgebaut, damit die Kinder von Flüchtlingen betreut werden, während die Eltern zum Beispiel Deutschkurse belegen. Bernd ten Have steuert das Gefährt durch den Kreis Borken. (Foto: Michael Bührke)
Ein mobiler Zufluchtsort: Dieser ehemalige Linienbus wurde zur mobilen Kita umgebaut, damit die Kinder von Flüchtlingen betreut werden, während die Eltern zum Beispiel Deutschkurse belegen. Bernd ten Have steuert das Gefährt durch den Kreis Borken. (Foto: Michael Bührke)

Gardemann ärgert sich darüber, dass die Politik zu wenig darauf achtet, welche Erfahrungen andere Länder mit der Unterbringung von Flüchtlingen gemacht haben: „Der Tschad zum Beispiel verfügt über mehr als 50 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet“. Die Texttafeln zur Ausstellung sind an Bauzäunen befestigt, die im Foyer der Bezirksregierung aufgestellt wurden. „Wir haben überlegt, was bildlich zum Thema passt“, erklärt die Architekturstudentin Katerina Neocleous. „Zum einen passen Bauzäune natürlich gut zur Architektur, zum anderen erinnern die Drahtgitter an Fotos, auf denen Menschen hinter Absperrzäunen in Flüchtlingslagern zu sehen sind“. Die Ausstellung beruht auf einer Idee von Prof. Joachim Gardemann und wurde gemeinsam mit Studierenden des Fachbereichs Architektur und einem Team von Münster Marketing und der Münster – Allianz für Wissenschaft umgesetzt.

Die öffentliche Ausstellung dauert bis zum 20. Juli. Am Dienstag, 10. Juli, findet um 18:00 Uhr in den Räumen der Bezirksregierung eine Podiumsdiskussion zum Thema „Zufluchtsorte – Räume im neuen Land: heilsam, offen, verständlich“ statt. Unter der Moderation des ehemaligen ARD-Korrespondenten Thomas Nehls diskutieren neben Gardemann und Mani noch Frank Bertram von „Architekten über Grenzen“, die Studentin Harine Suthan und Dr. Ömer Yavuz vom Integrationsrat der Stadt Münster.

(Fotos: Michael Bührke)

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