Manche Ausstellungsstücke der letzten Skulptur Projekte wie Ayşe Erkmens „On Water“ im Hafen waren echte Publikumsmagnete. Andere, wie Lara Favarettos „Momenthaftes Monument – Der Stein“ in der Nähe des Ludgerikreisels erschlossen sich erst bei genauerem Hinsehen. Aus der Ferne war das Objekt nur ein schmaler, 4,20 Meter hoher Klotz aus Granit.
Bei näherer Betrachtung wurde klar, dass der bearbeitete Stein an einer Seite einen Schlitz hatte, um Geld einzuwerfen. Von dieser Möglichkeit machten offenbar viele Besucher der Skulptur Projekte Gebrauch, als das Kunst-Event vorüber war und die riesige Sparbüchse Anfang Oktober letzten Jahres im Mondlicht „geschlachtet“ wurde, kamen beeindruckende 26.600 € in Münzen und Scheinen zum Vorschein, pro Tag landeten also fast 270 Euro im Inneren der Skulptur. Bereits vor Beginn der Aktion hatte die Turiner Künstlerin festgelegt, dass die Spendengelder dem Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ zugutekommen sollen. In Büren bei Paderborn befindet sich die größte „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“ Deutschlands. Frank Gockel aus dem Vereinsvorstand ist noch immer beeindruckt von dem beachtlichen Betrag, der im Rahmen der Kunstaktion zusammenkam: „Als wir von der Spendensumme erfahren haben, waren wir sehr überrascht. Wir hätten nie gedacht, dass es so viel sein würde!“
Der Verein benötigt für seine Arbeit pro Jahr im Schnitt 12.000 bis 14.000 €, das Geld von den Skulptur Projekten ist also deutlich mehr als ein „warmer Regen“. Gockel hat auch bereits klare Pläne für die Verwendung des Geldsegens aus Münster: „Im kommenden Jahr gibt es die Abschiebehaft, gegen die sich unser Verein einsetzt, seit 100 Jahren“. Anlässlich dieses „Jubiläums“ plant der Verein mehrere öffentliche Veranstaltungen, hier kommt das Geld gerade richtig, um die geplanten Aktionen professionell umsetzen zu können.
Die Abschiebehaft wird gegen Menschen verhängt, von denen vermutet wird, dass sie sich ihrer Abschiebung entziehen könnten. „Der Verdacht reicht aus, das gibt es im deutschen Recht sonst nirgendwo“, sagt Gockel. Möglicherweise aus diesem Grund wurde die ehemalige Justizvollzugsanstalt Büren umbenannt in „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“. Doch auch wenn der Name, die Möblierung und einige andere Details geändert wurden, leben dort weiterhin Menschen in Zellen, deren Türen verriegelt werden, wie Gockel erläutert. 1919 wurde in Deutschland das erste Gesetz zur Abschiebehaft erlassen und bereits die zweite Einrichtung, die für diese Zwecke eingerichtet wurde, trug laut Gockel den Namen „Konzentrationslager“.
Der Verein existiert seit 1995 und das Schönste wäre für Frank Gockel, wenn er bald aufgelöst werden könnte: „Das würde bedeuten, dass die Abschiebehaft abgeschafft worden ist und genau dafür setzen wir uns ein“. Kernaufgabe des Vereins ist die konkrete Hilfe vor Ort, also in der Einrichtung. „Viele fragen sich dort, warum sie in Haft sind, obwohl sie nichts verbrochen haben. Sie dachten, dass Deutschland ein Rechtsstaat sei, darum sind sie ja aus ihren Heimatländern geflohen und zu uns gekommen“, berichtet das Vereinsmitglied.
Der Verein unterstützt bei rechtlichen Fragen und organisiert einen Anwalt, wenn gegen die Abschiebung Einspruch erhoben werden soll. Außerdem besorgen Gockel und seine Mitstreiter Telefonkarten, damit die Gefangenen telefonieren können, „die Einrichtung ist ziemlich weit außerhalb“. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Öffentlichkeitsarbeit, der Verein sucht das Gespräch mit Politikern und Journalisten, um über das Problem der Abschiebehaft zu informieren. „Ich scheue keine Diskussion, sofern die Argumente Inhalte besitzen. Leider ist dies nicht immer so“, bedauert Gockel.
Die Künstlerin hat den Verein vor den Skulptur Projekten besucht, um sich über die Problematik der Abschiebehaft zu informieren. Der Standort auf der Wiese nahe des Ludgerikreisels wurde nicht zufällig gewählt, auf der gegenüberliegenden Grünfläche steht das Train-Denkmal, mit dem an Kriege aus Deutschlands Kolonialzeit erinnert wird und im gegenüberliegenden Stadthaus 2 ist Münsters Ausländerbehörde untergebracht. Der Granit, aus dem die Skulptur bestand, wurde zertrümmert und nach dem Ende der Skulptur Projekte anderweitig verwendet.
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