Tatort Schreibtisch: Stadtverwaltung in der NS-Zeit

Stellten die Ergebnisse des Forschungsprojektes vor (v.l.): Prof. Thomas Großbölting, Prof. Sabine Mecking, Stadträtin Cornelia Wilkens, Dr. Christoph Spieker, Annika Hartmann, Oberbürgermeister Markus Lewe, Markus Goldbeck und Philipp Erdmann. (Foto: Stadt Münster)
Stellten die Ergebnisse des Forschungsprojektes vor (v.l.): Prof. Thomas Großbölting, Prof. Sabine Mecking, Stadträtin Cornelia Wilkens, Dr. Christoph Spieker, Annika Hartmann, Oberbürgermeister Markus Lewe, Markus Goldbeck und Philipp Erdmann. (Foto: Stadt Münster)

„Der Alltag von Macht ist Bürokratie“, betonte Prof. Thomas Großbölting. So waren es in der Hauptsache die „Diener“ und auch die Karrieristen in der Stadtverwaltung, die den Nationalsozialisten in Münster den Weg ebneten. Bei der Etablierung von Diktatur sei die Verwaltung aber auch ein eigener Faktor, meinte der Historiker. „Sie arbeitet durchaus eigensinnig.“ Bei den münsterschen Behörden könne man von einer „durchschnittlichen Beteiligung“ an der Durchsetzung des Nationalsozialismus sprechen. Es habe aber nicht nur Mitläufer gegeben, die Mitarbeiter seien aktiv gewesen.

Die „Aufarbeitung der Rolle der Stadtverwaltung Münster im Nationalsozialismus 1920-1960“, verfasst von einem Team junger Historiker, wurde jetzt veröffentlicht. Welche Rolle spielten die Behörden im Gewaltsystem des nationalsozialistischen Deutschlands und wie waren die Entwicklungen vor 1933 und nach 1945 personell und inhaltlich? Auf Initiative der Stadt Münster hatte der Rat eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung des Themas angestoßen, die der münstersche Geschichtsort Villa ten Hompel und weitere städtische Institutionen begleiteten. Am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte / Zeitgeschichte der Uni Münster entstanden so unter Leitung von Prof. Thomas Großbölting zwei Dissertationen.

Oberbürgermeister Markus Lewe hob bei Vorstellung der Ergebnisse im Rathausfestsaal in Münster die historische Verantwortung von Stadtverwaltung und  Stadtgesellschaft für die auch in Münster umgesetzte nationalsozialistische Gewalt- und Verbrechenspolitik hervor. Zu lange habe es nach 1945 auch „blinde Flecken“ in der Erinnerungskultur der Stadt gegenüber den Verfolgten wie auch in der Bewertung der „personellen Kontinuitäten“ von Verwaltungsmitarbeitern gegeben.
Annika Hartmann und Philipp Erdmann haben in ihren Dissertationen die Rolle der Stadtverwaltung zwischen 1920 bis 1960 mit innovativen Forschungsansätzen untersucht. Laut Annika Hartmann legte die Verwaltung nach 1933 ihre anfängliche Zurückhaltung gegenüber der NS-Politik mehr und mehr ab und entwickelte sich bis zum Kriegsbeginn 1939 von einem Vermittler zu einem Agenten des Nationalsozialismus vor Ort. Dies betraf beispielsweise die Arisierungspolitik. Auch der damalige münstersche Oberbürgermeister Albert Hillebrand, NSDAP-Mitglied, habe mit zunehmender Etablierung der Nazis reibungslose Abläufe ermöglicht. „Er wirkte systemstabilisierend, er setzte an bestimmte Stellen die passenden Leute.“ Es habe in der Verwaltung überzeugte Nazis gegeben, aber auch viele, die großen Wert auf die Funktionalität der Verwaltung gelegt hätten.

Philipp Erdmann charakterisierte die Akteure in der Stadtverwaltung während des Zweiten Weltkriegs als zunehmend überforderte Krisenmanager, die aber die NS-Verfolgungspolitik, etwa die Deportation der Juden, administrativ mit vorantrieben. Ein Beispiel sei der Fall des Stadtrechtsrats Wilhelm Sasse. „Sasse hat die Liste der zu deportierenden Menschen sogar eigenhändig um 19 Personen ergänzt.“ Nach 1945 handhabten die britischen Besatzer die Personalpolitik ebenso pragmatisch wie integrativ, was personelle Kontinuität in einem neuartigen Licht erscheinen lässt. Deutlich kritisierte Erdmann mentale Defizite bei vielen dieser Beamten gegenüber gesellschaftlichen „Außenseitern“, so dass NS-Stigmatisierungen lange über 1945 hinaus anhielten.

Historiker Markus Goldbeck ordnete die personelle Entwicklung in der Stadtverwaltung ein. „Münster fügt sich in das Gesamtbild der deutschen Verwaltungen ein“, resümierte er. „Viele nutzten die Chance, die sich fürs eigene Fortkommen bot. Es gab kaum Märtyrer.“ Die Beschäftigtenzahl in der Verwaltung Münster während des Kriegs wuchs um fast ein Drittel, was die größer werdende Bedeutung von Verwaltungshandeln im Nationalsozialismus untermauert. Auswertungen zur personellen Kontinuität nach 1945 ergaben zudem, dass zwar Einzelfallprüfungen vorgenommen wurden, aus heutiger Sicht aber belastete Beamte in Entnazifizierungsverfahren allzu leicht entlastet wurden und dies zumeist die Grundlage für eine Weiterbeschäftigung war.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Stadtverwaltung Münster im Nationalsozialismus“ sollen in der Schriftenreihe „Villa ten Hompel“ veröffentlicht werden.

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