„Münster zu verlassen stand nie zur Debatte“ Inga Kröger und Torben Oberhellmann engagieren beim Verein Kinderglück in Dortmund

Inga Kröger und Torben Oberhellmann aus Münster. (Foto: Kinderglück)
Inga Kröger und Torben Oberhellmann aus Münster. (Foto: Kinderglück)

Der Kinderglück e.V. aus Dortmund ist in Münster noch relativ unbekannt, dabei realisiert der Verein Deutschlands größtes Schulranzenprojekt, das auch von Kinderarmut betroffene Erstklässler in unserer Region erreicht. Für den Verein sind auch zwei Münsteraner aktiv.

Gesellschaftlich wenig präsent ist die Tatsache, dass es viele I-Dötzchen gibt, die an ihrem ersten Schultag mit einem Stoffbeutel oder einer Plastiktüte anstatt mit einem Ranzen vor dem Schulportal stehen. Der Kinderglück e.V.-  rund um die Gründer Susanne und Bernd Krispin- hat sich diesem Problem vor zehn Jahren angenommen und ermöglicht es Antragsstellern wie Kitamitarbeitern, Grundschullehrern und Jugendhilfeträgern Tornister für ihre betreuten Kinder im Namen der Eltern zu beantragen. In einer großen Verteilaktion kurz vor den Sommerferien werden die Schultaschen an die Antragssteller ausgegeben. 2019 konnten so rund 1.800 Kinder erreicht werden. Das zusätzlich besondere:  Die Kleinen wissen nicht, dass es sich um eine Spende handelt. Die Ranzen werden von den Abholern an die Eltern ohne das Beisein der Kinder übergeben, sodass Mama und Papa zu offiziellen Geschenkeüberbringern werden.

Der spendenbasierte Verein investierte in diesem Jahr rund 110.000 Euro in die Umsetzung des Projektes und auch aus dem Münsterland kam Unterstützung. Der Takko hilft e.V. aus Telgte engagierte sich mit der Spendensumme von 70.000 Euro. Zwei Münsteraner – Torben Oberhellmann und Inga Kröger gehören zum Kinderglück-Team. ALLES MÜNSTER sprach mit ihnen über ihre Projekte, das Besondere an ihrer Arbeit und wie es ist, von Münster nach Dortmund zu pendeln.

Ihr beiden strahlt ja unglaublich. Worüber freut ihr euch denn so?

Inga Kröger: Wir sind wohl noch ein wenig beseelt vom Schulranzenprojekt, das in der letzten Woche 1.800 angehende Grundschüler erreichte. Es war das erste Projekt, an dem Torben und ich im Rahmen unserer Tätigkeit für den Kinderglück e.V., gemeinsam mitmischen durften, nachdem sich 2016 unsere beruflichen Wege trennten. Es war immer unser Traum, dass wir erneut zusammenfinden und nun haben die Kinderglück-Gründer Susanne und Bernd Krispin diesen Wunsch im April wahrgemacht.

Das Kinderglück-Schulranzenprojekt richtet sich an angehende Schüler, die von Kinderarmut betroffen sind. 1.800 ist eine Hausnummer. Warum ist der Bedarf so groß?

Torben Oberhellmann: Ganz ehrlich – bevor ich das Projekt nicht kannte, war mir es mir nicht bewusst, dass es so viele Kinder in Deutschland gibt, die nicht standardmäßig mit einem guten Ranzen ausgestattet sind oder sogar gar keinen bekommen. Dabei hält man sich selbst ja für sehr gut informiert. Vielleicht ist das so, wenn man noch keine Kinder im schulpflichtigen Alter hat. Viele Eltern können sich die gesamte Erstausstattung einfach nicht leisten, wenn sie in prekären Verhältnissen leben. Ein guter Ranzen ausgestattet mit Federmappe und Turnbeutel kostet um die 250 Euro. Das Teilhabegesetz sieht einen Zuschuss von 30 Euro im Februar und 70 Euro im August vor. Davon sollen Familien, die sich nicht mal einen Besuch in der Eisdiele leisten können, alles für die Einschulung bestreiten. Das ist einfach zu wenig.

250 Euro für einen Ranzen. Tut es da nicht auch ein gebrauchter oder ein günstigeres Modell?

Inga Kröger: Zwei gute Fragen, die uns des Öfteren gestellt werden und die ich ganz eindeutig mit Nein beantworte. Der Kinderglück e.V. hat in der Vergangenheit versucht, gebrauchte Ranzen einzusammeln. Zum größten Teil konnten wir die entsorgen. Wenn ein Kind vier Jahre einen Tornister benutzt hat, sieht er dementsprechend aus. Kinder schmeißen so eine Tasche auch mal ein wenig herum und dann hat er nach vier Jahren einen – formulieren wir es freundlich – Retro-Charme. Das sehen auch die neuen Mitschüler und schwupps ist das Kind in einer Außenseiterrolle, die es aufgrund seiner Kinderarmut ja eh oft spürt. Die günstigen Modelle taugen einfach nichts. Bernd und seine Frau testen jedes Jahr auf Neue. Sie sind nicht gut verarbeitet und nicht rückenstützend. Gerade letzteres ist sehr wichtig für die Auswahl unserer Ranzen. Die Kleinen haben mit sechs Jahren einiges an Kilos auf dem Rücken zu transportieren und es wird nicht überraschen, dass Kinderarmut aufgrund von fehlenden Möglichkeiten auch oft mit einem größeren Gesundheitsrisiko einhergeht und das gilt es, so gut wie, abzufangen.

Wie kann der Verein so ein Großprojekt stemmen? Logistisch wie finanziell ist es ja eine Herausforderung.

Torben Oberhellmann: Absolut! Finanziell sind wir auf Spenden angewiesen, um dieses Projekt Jahr für Jahr zu realisieren. Viele kleine und große Spender unterstützen uns und 2019 kam der Takko hilft e.V. aus Telgte mit an Bord der Schulranzenaktion. Seit 2018 in anderen Projekten bereits kooperieren. Ein toller Glücksfall, denn der Takko hilft e.V. spendete Kinderglück 70.000 Euro für die Ranzen und half sogar vor Ort noch bei der Verteilung mit. Mit den Jahren hat Bernd gute Kooperationen mit Schulranzenherstellern aufgebaut, sodass der Verein nicht den Ladenpreis, sondern rund 60 Euro für einen Ranzen bezahlt. Ansonsten hätten wir nicht rund 110.000 Euro an Spenden aufbringen müssen, sondern knapp 450.000 Euro. Das Entgegenkommen hilft uns sehr.

Die Umsetzung ist möglich, da Bernd und Susanne über Jahre ein sehr gutes System aufgebaut haben, in das auch viele Ehrenamtliche involviert sind. Es begann alles mit einem Schulranzen, den vor zehn Jahren ein Sozialarbeiter beantragte. Mit den Jahren entwickelte sich das Projekt weiter und somit auch die logistischen Ansprüche. Kinderglück hat heute eine Halle gegenüber des Dortmunder Flughafens zur Verfügung. Dort wurden vor der Verteilung 6 LKW-Ladungen mit Schulranzen angeliefert, aufgebaut und vorkommissioniert. 25 Ehrenamtliche halfen mit und nahmen sich für den Tag der Verteilung sogar teilweise frei. Der Teamgeist, der im Verein herrscht, ist außergewöhnlich. Wertschätzung, empathische Zugewandtheit und ein hohes Maß an Miteinander. Alle teilen die Begeisterung und das Wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Kinder und Jugendliche unbeschwert aufwachsen können.

(Foto: Kinderglück)
(Foto: Kinderglück)

Das Schulranzenprojekt ist ja nur eines von mehreren Hilfsprojekten. Wie setzt sich der Verein denn noch ein?

Inga Kröger: Jetzt picke ich wohl besser ein Projekt heraus, sonst wird dieses Interview zu einem Roman, denn ich könnte stundenlang erzählen.

Torben Oberhellmann: Ja… das ist richtig. Deshalb werfe ich dir mal schnell ein Stichwort zu: Ferienpatenschaften.

Inga Kröger: Ja, du kennst mich gut, Herr Oberhellmann (lacht). Nur ganz kurz vorweg – Kinderglück hat insgesamt zehn Projekte, die sich in ihrer Ausrichtung an Kinder und Jugendliche richten, die nicht nur von Kinderarmut, sondern auch von Krankheit und Traumata betroffen sind und alles Erdenkliche erlebt haben, was Kinder einfach nicht erleben sollten.

Nun zu den Ferienpatenschaften. 500 Kindern ermöglichen wir es jedes Jahr unbeschwerte Ferienaufenthalte beispielsweise im Sportcamp Hachen oder auch an der See zu verleben. Es handelt sich dabei um Kinder, die es bis dato selten über ihre Stadtgrenze hinausgeschafft haben. Ihnen soziale Teilhabe zu ermöglichen, ist unglaublich wichtig und ein Grundbedürfnis. Erst in der letzten Woche erhielt ich einen Anruf einer Sozialarbeiterin. Es handelte sich um ein zehnjähriges Mädchen, das mit seiner alleinerziehenden Mutter in sehr prekären Verhältnissen lebt und einen Ferienaufenthalt im Sauerland mit anderen Kindern erleben sollte. Die Reise wurde zwar schon subventioniert, doch der Eigenanteil lag noch bei 100 Euro. Ein Betrag, der einfach nicht aufzubringen war. Die Kleine hatte sich schon so gefreut und war jetzt – wir können es uns alle vorstellen – total traurig. Der Jugendhilfeträger, für den die Sozialarbeiterin tätig ist, ist seit Jahren mit uns verknüpft und auch geprüft, sodass wir nach Sichtung der Unterlagen sehr schnell den fehlenden Betrag als Förderung zusagen konnten. 100 Euro, die für ein Kind die Welt verändern. Einerseits toll, dass wir das unterstützen können, andererseits sollten wir, denen es gut geht, mal durchrechnen, was wir beispielweise an einem typischen Münsterwochenende so ausgeben, wenn wir über den Markt flanieren und Münsters gute Stube genießen.

Habt ihr so etwas wie Demut gelernt, seitdem ihr für den Kinderglück e.V. tätig seit?

Torben Oberhellmann: Ich denke, dass ich für uns beide spreche, wenn ich sage, dass man eine generelle soziale Grundeinstellung und einen offenen Blick für gesellschaftliche Themen mitbringen sollte, wenn man für einen Verein wie den Kinderglück e.V. tätig sein möchte. Bei Organisationen ist es wichtig, dass das nach Außen dargestellte Leitbild bestehend aus Werten, Einstellungen und Motivation, auch innerhalb derer gelebt wird. Nur so kann eine Organisation ihre Ziele verfolgen und langfristig wie glaubhaft ihr Arbeit umsetzen. Dies habe ich bei Kinderglück vom ersten Moment an erfahren und es ist ein tolles Gefühl hier zu arbeiten und Dinge zu bewegen. Das Gefühl der Demut kennen wir beide, doch natürlich verstärkt sich dieses Gefühl je tiefer man in Projekte eintaucht und mit Dingen konfrontiert wird, die man vorher in der Intensität so noch nicht erlebt hat.

Münster-Dortmund-Münster ist doch eine elendige Pendelei. Die Strecke ist doch kein Geschenk. Warum kein Umzug nach Dortmund?

Inga Kröger: Münster zu verlassen stand nie zur Debatte. Wir haben hier beide unseren Lebensmittelpunkt gefunden. Torben mit seiner Frau Nadja und seiner kleinen Tochter und ich mit meinem Mann Konrad. Bernd wirft uns zwar des Öfteren zwinkernd den Satz zu „irgendwann wohnt ihr beide in Dortmund“, doch er weiß, dass wir mit dem Mix aus beiden Städten sehr glücklich sind. Die Pendelei wird da zur Nebensache und zudem arbeiten wir in modernen Strukturen, die familienfreundlich orientiert sind. Aktuell wird ja viel über neue Arbeitsmodelle gesprochen. Wir können sagen, dass sie für uns bereits geschaffen wurden und das mit großer Selbstverständlichkeit.

Torben Oberhellmann: Das ist richtig. Homeoffice-Tage sind bei uns zum Beispiel fest verankert. Wer weiß, was die Zukunft noch alles bringt. Kinderglück ist ja bereits im Münsterland aktiv, wenn auch bis dato so, dass es wenige wissen. Kinder nehmen unsere Ferienpatenschaften in Anspruch und wir spenden jedes Jahr von unseren Ehrenamtlichen genähte Kinderglück-Kissen an verschiedene Kliniken.  Gerne möchten wir in Kooperation mit Organisationen, die bereits vor Ort agieren die Unterstützung für Kinder und Jugendliche ausbauen. Das Schulranzenprojekt beispielsweise lässt sich mit Partnern auf Münster übertragen. So könnte man gemeinsam verstärkt Kinder hier erreichen, denn auch wenn es uns offensichtlich sehr gut im Vergleich zu anderen Städten in NRW geht, so existiert auch hier Kinderarmut. Sie wird nur oft aus Scham versteckt. Es gibt tolle und sehr aktive Vereine in Münster, die gut zu uns von der Ausrichtung passen und wir freuen uns, wenn wir uns gemeinsam engagieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über Kinderglück Dortmund e.V.

2007 von Bernd Krispin und seiner Frau Susanne gegründet, setzt sich der Kinderglück e.V. für kranke, traumatisierte, betreute und Kinder mit Beeinträchtigungen in Deutschland ein. Kinderglück entwickelt, plant und realisiert eigene Projekte und dient zudem als Netzwerk zur Jugendhilfe und agiert als Ansprechpartner für Jugendämter und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Kinderkliniken und Kinderhospizdienste. Für ihr soziales Engagement wurden Susanne und Bernd Krispin 2018 mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt.

Spendenkonto: IBAN: DE56440501990001325981 | BIC: DORTDE33 | Sparkasse Dortmund

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