Einblicke in ein prekäres Bestiarium Rentnerteiche für Blutegel und schratige Waldrappen: Interview zur Lesung mit dem Kabarettisten, Bestsellerautor und Artenschützer Heiko Werning im Allwetterzoo

Heiko Werning im Berliner Zoo. (Foto: Susanne Schleyer)

Am Freitag, 19. April 2024, gibt es um 19 Uhr im Allwetterzoo Münster eine ganz besondere Lesung zu erleben. Der Kabarettist, Redakteur sowie Bestsellerautor und gebürtiger Münsteraner Heiko Werning wird aus seinem Buch „Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch: Ein prekäres Bestiarium” lesen. Neben dem ernsten Thema Artenschutz kommt dabei auch der Humor nicht zu kurz. ALLES MÜNSTER-Autor Sebastian Rohling hatte vorab die Möglichkeit, mit Werning über das Buch und die bevorstehende Lesung zu sprechen.

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Um was geht es in dem Buch „Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch – ein prekäres Bestiarium“?

Wir stellen in literarischen, humorvollen Texten die Geschichten von Tierarten vor, die ohne die Haltung in menschlicher Obhut ausgestorben wären oder aussterben werden. Es geht uns darum zu zeigen, wie einzigartig jede von ihnen ist und was der Welt verloren ginge, wären diese Tiere nicht mehr da. Sie sind uns bei den Recherchen zum Buch allesamt sehr ans Herz gewachsen und hoffen, dass es Leserinnen und Lesern ähnlich geht. Wer hätte schon geahnt, dass es Rentnerteiche für ausgediente Blutegel gibt oder dass Tierpflegerinnen schratigen Waldrapp-Zugvögeln über die Alpen vorausfliegen müssen, damit die wissen, wo dieser Süden überhaupt ist, in dem sie überwintern müssen?

Welche Rolle hatten Weltbestseller wie zum Beispiel „Die letzten ihrer Art“ von Douglas Adams, der das Thema Artenschutz ja auch seine ganz eigene Art und Weise zu Papier gebracht hat, bei der Arbeit an dem Buch?

Natürlich ist „Die Letzten ihrer Art“ von Douglas Adams das unerreichbare Vorbild ebenso wie ein steter Quell der Inspiration, nicht nur für uns als Schreibende, sondern auch für viele, die heute im Artenschutz aktiv sind. Nicht wenige betrachten das Buch ja als ihre persönliche Artenschutz-Bibel. Da verbietet sich jeder Vergleich. Aber den Geist von Adams haben wir schon ein wenig über die Tasten wehen spüren, und wenn wir ihn auf diese Weise indirekt noch einmal würdigen können, freut uns das.

Für so ein vermeintlich schweres Thema sind die Geschichten launig, ironisch, bisweilen komisch, aber nicht trocken oder wissenschaftlich verfasst, sowie sonst viele Fachbücher. Warum ist es wichtig, über Artenschutz auch auf diese Weise zu sprechen und von den Herausforderungen zu erzählen?

Wir haben uns alle daran gewöhnt, dass uns die Zahlen um die Ohren gehauen werden: 42 Prozent aller Amphibienarten sind vom Aussterben bedroht, bei 1,5 Grad Erderwärmung werden mehr als zwei Drittel der Korallenriffe absterben, in den nächsten Jahrzehnten drohen über eine Million Tier- und Pflanzenarten auszusterben – aber es bleiben abstrakte Zahlen. Die Wenigsten spüren davon etwas konkret.

Auch der Mangarahara-Buntbarsch ist vom Aussterben bedroht. Durch Erhaltungszuchten in verschiedenen Zoos wird versucht, die Art davor zu bewahren. (Foto: Allwetterzoo Münster)

Im Gegenteil: Es entsteht eine gewisse Lücke zwischen den seit Jahrzehnten erklingenden Warnrufen und der Alltagserfahrung, dass es ja immer noch alle Tiere gibt, die man so kennt. Daher ist es wichtig, klarzumachen, dass hinter jeder einzelnen Zahl ein individuelles Tier-Schicksal steht, eine vielschichtige Geschichte, oft eng verwoben mit uns selbst, manchmal unglaublich, häufig kurios. Das füllt die Zahlen erst mit Leben im wörtlichen Sinn. Und verdeutlicht zudem, dass wir einige Tiere, die wir recht selbstverständlich zur Kenntnis nehmen, wie etwa den Wisent, überhaupt nur noch haben, weil er durch Zuchtbemühungen gerettet werden konnte. Viele der vorgestellten Tiere würde es ohne die Arbeit von beispielsweise Zoos heute gar nicht mehr geben, ob das nun die Socorro-Taube ist, der Schwarzfußiltis oder der Mangarahara-Buntbarsch.

Einige Tiere, deren Geschichten in dem Buch erzählt werden, gibt es ja auch im Allwetterzoo, bzw. dem hauseigenen Artenschutzzentrum „Internationales Zentrum für Schildkrötenschutz (IZS)“ in Münster, deiner Geburtsstadt. Zufall?

Das Buch ist aus unserer Arbeit für Citizen Conservation entstanden, eine Artenschutzorganisation, die Erhaltungszuchten für bedrohte Arten in Zusammenarbeit von institutionellen Tierhaltenden wie Zoos und Privatpersonen aufbaut.

Die Scharnierschildkröte ist einer der Titelhelden des Buchs von Heiko Werning. (Foto: Allwetterzoo Münster)

Tatsächlich ist das IZS im Allwetterzoo Münster (Internationales Zentrum für Schildkrötenschutz) dafür eine Art früher Blaupause und sicherlich wegweisend gewesen für eine enge Kooperation von Privaten und Zoos, denn das Schildkrötenzentrum geht ja auf die Arbeit von Elmar und Ingrid Meier zurück, zwei private Schildkrötenenthusiasten, die mehrere Schildkrötenarten durch ihre Nachzuchten vor dem Aussterben bewahrt haben. Der Allwetterzoo Münster hat dafür den nötigen institutionellen Rahmen und die Infrastruktur geboten, weitere Privathalter in aller Welt helfen beim Aufbau eines Erhaltungszuchtnetzwerks für diese Schildkröten. Deshalb ist mit Zhous Scharnierschildkröte auch eine der Münsteraner Schildkröten im Buch vertreten – und ja sogar einer unserer Titelhelden.

Der Dumerils Querzahnmolch gehört heute zu den am stärksten vom Aussterben bedrohten Arten. (Foto: Benny Trapp)

Zu dem Buch gibt es auch eine eigene Podcast-Reihe, „Der Kreaturen-Podcast“. Diese Reihe ist sogar noch vor dem Buch entstanden, bzw. das Buch ist ein Produkt dieses Podcast. Wie kam es, dass ihr aus dieser Reihe das Buch habt entstehen lassen?

Der Kreaturen-Podcast ist in der Corona-Zeit geboren. Wir wollten eigentlich in verschiedenen Zoos eine Kampagne für Citizen Conservation starten. Dann kamen die Lockdowns, und so haben wir nach einer anderen Möglichkeit gesucht, unser Projekt bekannt zu machen. Also haben wir beschlossen, unterhaltsame Geschichten über Tiere zu schreiben, die verdeutlichen, wie wichtig unser Anliegen „Erhaltungszucht in menschlicher Obhut“ ist.

Das war sehr erfolgreich, und als der Verlag Galiani Berlin uns fragte, ob wir die Texte nicht auch in Buchform herausbringen wollen, haben wir das gerne zugesagt, die alten Texte für die Buchform überarbeitet und neue geschrieben.

Das besondere für die Hörerschaft des Podcast: Ihr konntet zahlreiche Prominente aus Medien und Kultur dazu bringen, jeweils ein Tier „einzulesen“. So zum Beispiel Götz Alsmann, der das Kapitel über die Zhous Scharnierschilkdröte vorliest. War es schwer, die Lesenden für Eurer Projekt zu begeistern?

Erfreulicherweise haben wir für jedes Tier sozusagen einen Paten gefunden, der oder die den zugehörigen Text von uns unentgeltlich eingelesen hat, neben Götz Alsmann beispielsweise auch Axel Prahl, Sarah Bosetti, Torsten Sträter, Eckhart von Hirschhausen, Bernadette La Hengst, Ulrike Nasse-Meyfarth, Frank Schätzing, Petra Gerster, Reinhard Mey, Frank Goosen, Bernd Gieseking, Wladimir Kaminer, Horst Evers und viele andere. Das Anliegen, bedrohte Tierarten durch Erhaltungszucht zu retten, fanden alle wichtig und einleuchtend und haben tatsächlich sehr gerne und bereitwillig mitgemacht. Dabei hat natürlich geholfen, dass wir durch unsere eigene Arbeit als Autoren, Medienleute und Bühnenkünstler viele der Kolleginnen und Kollegen persönlich kennen. Trotzdem haben wir uns sehr über das Engagement gefreut, und natürlich auch über das Vertrauen, dass alle damit uns und unserem Projekt Citizen Conservation entgegengebracht haben.

Im Podcast gibt es, glaube ich zumindest, mehr Tiere zu erleben als in dem Buch, das Du gemeinsam mit Ulrike Sterblich geschrieben hast. Also, wann kommt der zweite Teil vom prekären Bestiarium? Oder anders: Warum habt Ihr euch für das erste Buch für die dort thematisierten Tiere entschieden?

Ulrike Sterblich und Heiko Werning (hier im Gehege des Okapi im Berliner Zoo) haben das Buch gemeinsam geschrieben. (Foto: Susanne Schleyer)

Nein, es sind alle Podcast-Texte auch im Buch vertreten.

Für die Arten haben wir uns zuerst anhand des roten Fadens „Rettung durch Haltung in menschlicher Obhut“ entschieden. Das wären allerdings bereits erheblich mehr Arten in Frage gekommen, als wir bearbeiten konnten. Weitere Kriterien waren dann, alle wichtigen Tiergruppen vertreten zu haben, vom Aaskäfer bis zum Nashorn. Und natürlich haben wir uns bemüht, möglichst unterschiedliche Geschichten zu finden, um die verschiedenen Facetten der Bedrohung der Biodiversität darzustellen. Da gäbe es natürlich noch genug zu erzählen für einen zweiten Band, aber jetzt warten wir erst einmal ab und schauen, was wir in Zukunft dann so machen.

Wenn Du am Freitag, 19. April, aus Deinem Buch vorlesen wirst, auf was kann sich das Auditorium freuen? Hast Du schon eine Auswahl der vorzustellenden Tiere getroffen?

Ich glaube, das wird eine unterhaltsame Veranstaltung werden. Ich stelle das Projekt Citizen Conservation vor, die Bedrohung der Biodiversität, es werden einige unserer kuriosesten und bewegendsten Tier-Helden in Kurzform und mit Bild vorgestellt, und natürlich werden einige Geschichten aus dem Buch vorgelesen. Dazu diskutiere ich gerne mit dem Publikum oder beantworte Fragen. Ich habe natürlich meine persönlichen Favoriten unter den Texten, die besonders gut zum Vorlesen geeignet sind, und selbstverständlich wird auch der Ort berücksichtigt – wenn ich schon im Allwetterzoo lese, dann sollen natürlich auch die Arten gewürdigt werden, die man dort auch sehen kann oder die direkt von der Arbeit des Zoos profitieren. Also, Stoff gibt es genug, und ich bin ziemlich optimistisch, dass das ein schöner, lustiger Abend wird – trotz des ernsten Themas.

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Das Buch von Heiko Werning und Ulrike Sterblich ist im Verlag Galiani, Berlin, erschienen.

Heiko Werning ist Autor aus Leidenschaft, Reptilienforscher aus Berufung und Froschbeschützer aus Notwendigkeit. Er ist Autor mehrerer herpetologischer Fachbücher, schreibt aber auch für Taz und Titanic. Seine Texte liest er regelmäßig bei den Berliner Lesebühnen Reformbühne Heim & Welt und Brauseboys vor. Seine Wedding-Geschichtensammlungen sind eine inoffizielle Chronik des Berliner Problembezirks und in der Edition Tiamat erschienen. Werning ist seit knapp 40 Jahren Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT), ist im Leitungsteam der DGHT-AG IguanAgama, Gründungsmitglied von Frogs & Friends und einer der Initiatoren von Citizen Conservation.

Organisiert wird die Lesung im Allwetterzoo Münster von der AG Literatur und Geschichte der Herpetologie und Terrarienkunde (LGHT) sowie der DGHT-Stadtgruppe Münster. Sie findet statt am Freitag, 19. April 2024 in der Zooschule, Allwetterzoo Münster. Einlass ist ab 18 Uhr, Beginn der Veranstaltung ist um 19 Uhr. Der Eintritt beträgt 5 Euro.

 

Mehr zum Buch „Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch – ein prekäres Bestiarium“ von Heiko Werning und Ulrike Sterblich findet ihr auf der Homepage des Verlags Galiani (www.galiani.de). Den "Kreaturen-Podcast" könnt ihr im YouTube-Kanal von Citizen Conservation und auf Spotify hören.

 

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