Zwischen Glaube und Vernunft Ehemaliger Diakon Matthias Schink kämpft als Dragqueen mit bunten Kleidern und Perücke für Reformation in der Kirche

„Ich bin in einem Prozess und muss erstmal meinen Glauben hinterfragen, weil ich merke wie diskriminierend er bisher war.“ (Foto: Dana Barrenberg)
„Ich bin in einem Prozess und muss erstmal meinen Glauben hinterfragen, weil ich merke wie diskriminierend er bisher war.“ (Foto: Dana Barrenberg)

Fünf Stunden dauert die Verwandlung zu Liberty Lestrange – so nennt sich Matthias Schink als Dragqueen. Mit bunten Kleidern und Perücke kämpft der ehemalige Diakon für eine Reformation in der Kirche. Unsere Autorin Sonja Rohe hat sich mit ihm unterhalten.

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Aufgewachsen ist Matthias Schink in einem kleinen Ort im Osnabrücker Land. Als Scheidungskind kommt er laut eigener Aussage aus „schwierigen“ Verhältnissen und erfährt in der Kirche einen Zufluchtsort, wo er sich verstanden fühlt. Schink hat sich bereits bei seiner Konfirmation dazu entschieden, sich zum Jugend- und Gemeindediakon ausbilden zu lassen. Dies geschah wie geplant in der Bibelschule „Malche“ in Porta Westfalica. Er wusste bereits früh, dass er homosexuell ist und unterdrückte dies sehr lang.

Seine erste Schwärmerei galt dem Sohn des Pastors. Beziehungen, die er mit Frauen einging, scheiterten. Woher diese Gefühle für Männer kommen, versuchte er nach seinem Outing auch mit einem Seelsorger zu erforschen. Vieles hat er ausprobiert, damit entweder die Gefühle verschwinden, oder er würde sein Leben lang enthaltsam leben wollen. „Verrückt“ bezeichnet Schink seine Gedanken von damals. Aber das gehörte zu dem Prozess dazu um der zu werden, der er heute ist. In der landeskirchlichen Gemeinschaft Enger bei Bielefeld organisierte Matthias Schink Jugendfreizeiten für den Jugendverband „Entschieden für Christus“ (EC). In diesem Zeitraum lernte der damals 26-jährige seinen Freund kennen und lieben.

Fünf Stunden dauert die Verwandlung zu Liberty Lestrange (Foto-Quelle: Matthias Schink)
Fünf Stunden dauert die Verwandlung zur Dragqueen Liberty Lestrange (Foto-Quelle: Matthias Schink)

Die selbst auferlegte Regel enthaltsam zu leben, bricht er und ist im ständigen Zwiespalt mit sich selbst: „Die Kirche war eine Heimat für mich, wo ich mich geborgen gefühlt habe, aber gegen diese Gefühle konnte ich nichts unternehmen“. Als er sich bei seinem Arbeitgeber outet, gibt es wenig Verständnis: „Man darf es empfinden aber man sollte es nicht ausleben“. So verstand Schink es damals, seine Treffen mit dem Freund geheim zu halten. Man traf sich zu Dates weit außerhalb der heimischen Öffentlichkeit.

Als die Entscheidung fiel, sein Leben nicht mehr „leise und still“ zu leben, kündigte er eigenständig die Position als Diakon und zog mit seinem Freund nach Münster. Dennoch durchlebte er nach wie vor eine innere Unruhe. Rund zwei Jahre dauert es, bis Schink sich und seine Homosexualität immer mehr akzeptiert und nicht mehr als Sünde ansieht. „Wenige Personen, die im Dienste der Kirche stehen, zeigen Verständnis. Als homosexueller Mann ist kein Platz in dieser Institution“, sagt Matthias Schink, der selbst mit diesen Werten aufwuchs.

In Münster angekommen, wirkt er unter anderem an den Pride-Weeks und in der Queer Scene aktiv mit. Bei der Arbeit im CSD Münster habe er gemerkt, dass viele Personengruppen von der Kirche diskriminiert werden, nicht nur homosexuelle Personen. „Ich bin in einem Prozess und muss erstmal meinen Glauben hinterfragen, weil ich merke wie diskriminierend er bisher war.“

Mit Heels und Perücke ist Schink ca. 2,30m groß (Foto-Quelle: Matthias Schink)
Mit Heels und Perücke ist Schink ca. 2,30m groß (Foto-Quelle: Matthias Schink)

Über soziale Medien und heutige Freunde, wurde er auf das Thema DRAG aufmerksam und schminkte sich 2019 das erste Mal. „Durch Liberty nehme ich viel Stärke mit in meinen Alltag“, erzählt er selbstbewusst. Fünf Stunden dauert die Verwandlung zu Liberty Lestrange, die er für Auftritte gern in Kauf nimmt. Viel Freude bereitete ihm der CSD Gottesdienst im August 2021, in dem er als Liberty unter den Teilnehmenden auch queere Paare segnen durfte: „Eine tolle und wichtige Veranstaltung, die großen Zuspruch gefunden hat!“

Sein Alter Ego „Liberty Lestrange”, was er selbst als „Fremde Freiheit“ übersetzt, sieht Matthias Schink als eine rebellische Auflehnung gegen die Kirche, um Reformation zu fordern. „Als Dragqueen mache ich mich dafür stark, dass kein Mensch so negativ in Bezug auf seine Sexualität geprägt werden darf“, berichtet Schink mit ernster Miene. Auf seinem Instagram-Kanal lebt er diese Seite frei aus. Neben vielen Selbstportraits und Interviews sieht man ebenfalls einen Beitrag mit dem Titel „Todschweigen ist auch Mord!“, in dem Schink über die Bekanntgabe seiner Verlobung berichtet und dabei auf wenig positive Rückmeldung trifft. „Egal wen du liebst! Du bist wunderbar! Sei laut! Lass dich nicht totschweigen“, ermutigt er seine Community.

Heute ist der 31jährige selbstständiger Erzieher und möchte diesen Sommer seinen Verlobten heiraten. Er wird weiterhin den offenen Dialog mit der Kirche suchen: „Ich habe schon einige Ideen, die ich gerne umsetzen möchte.“ Dragqueen Liberty Lestrange alias Matthias Schink wird Ende April an der Homosexuellen-Demo teilnehmen, welche dieses Jahr ihr 50 Jubiläum in Münster feiert. Um für eine Reformation, ein Umdenken in der Kirche und mehr Toleranz seine Stimme zu erheben.

Ein Kommentar

  1. Irgendwie hat Herr Schink wohl nicht mitbekommen, dass in den Evangelischen Kirchen eine kirchliche Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren spätestens seit es die „Ehe für alle“ möglich ist. Schon vor dem Bundesgesetz, gab es die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren in verschiedenen evangelischen Landeskirchen.
    Ich bin lutherischer Diakon und lebe seit 32 Jahren, von der Kirchenleitung nie in Frage gestellt mit meinem Ehemann zusammen.
    Von Seiten meiner Vorgesetzten bin ich stets resptvoll unterstützt worden ..

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