Am Freitag Abend eröffnete Fritz Schmücker die 26. Ausgabe des Jazzfestival Münster. Es war diesmal noch schneller ausverkauft als in den Vorjahren. Schon 45 Minuten nach Öffnung der Kassen gab es für alle drei Tage keine Karten mehr. Er habe „Demut vor dem, was sich im Vorverkauf abspielt“, meinte Festival-Leiter Schmücker bei der Begrüßung, „aus Veranstaltersicht ist das ja nicht das Schäbigste“. Der Schwerpunkt liegt auch dieses Mal wieder beim europäischen Jazz – dafür hat sich das Festival längst einen Namen gemacht.
Die Überraschung des ersten Abends war das spanische Duo des Pianisten David Peña Dorantes und des Bassisten Renaud Garcia-Fons, das sich ganz der Musik des Flamenco widmete. Moment mal: Flamenco ohne Gitarre – ja geht das denn? Das fragten sich vorher sicher viele Festivalbesucher, und sie wurden überrascht, denn es klang hervorragend. Es war allerdings nicht der Flamenco der Tanzshows und der Folklore-Ensembles, es waren eher virtuose Konzertstücke, die aber immer wieder den Geist und die vertrauten Klänge des Flamenco hören ließen. Renaud Garcia-Fons, der schon 1999 mit dem Projekt Castel del Monte in Münster gastierte, ließ seinen fünfsaitigen Bass auf vielfältige Art singen: mal mit dem Bogen gestrichen, mal damit rhythmisch geschlagen und mal mit den Fingern gezupft. Pianist David Peña Dorantes übernahm am roten Steinway-Flügel meistens die Figuren, die üblicherweise von den Gitarristen übernommen werden. Aber auch viel mehr als das. Sicher werden sich bald viele Besucher das Album Paseo a Dos dieses Duos zulegen, der Mittschnitt des Konzerts ist übrigens noch für vier Wochen auf der Homepage von WDR 3 hörbar: http://konzertplayer.wdr3.de/jazz-and-more/konzert/wdr-3-konzert-06012017
Das britische Quartett EMPIRICAL aber war es, das den Abend eröffnete – gerade erst hatten die Musiker den internationalen Preis Urban Music Award für die Jazz-Sparte gewonnen. „The coolest of Britain’s young jazz bands“, dieses Zitat aus dem Daily Telegraph ziert die Homepage der Band zu Recht. Denn die vier jungen Musiker aus London spielten nicht nur im Stil der Jazz-Avantgarde der frühen 1960er, sie setzten es in ihren Anzügen auch optisch um. „Boah, die sehen aber gut aus,“ zitierte Fritz Schmücker eine Festival-Besucherin. Manchen Zuhörern war es aber zu viel „Kopie von der Kopie“, denn sie orientierten sich musikalisch schon sehr stark an den Vorbildern jener Jahre. Vor allem Eric Dolphy, dem sie 2009 ihr zweites Album Out’n’In gewidmet hatten, prägt ihren Stil offenbar noch heute. Sie spielten hier aber nicht altbekannte Titel nach, sondern präsentierten ausschließlich eigene Kompositionen, vor allem von ihrem neuem Album Connection. Diese Stücke stammen nicht nur von dem Altsaxophonisten Nathaniel Facey, sondern auch von den anderen Mitgliedern der Band, die sehr darauf achtete, als Kollektiv aufzutreten. Deshalb übernahmen alle reihum die Aufgabe, die Zwischenmoderationen zu sprechen.
Auch die dritte Formation des Abends, die unter dem Motto I AM THREE auftrat, legte Wert darauf, keinen Bandleader zu haben. So zeigten sich alle drei als eigenwillige Solisten, Silke Eberhard am Altsaxophon, Nikolaus Neuser an der Trompete und der in Münster aufgewachsene Christian Marien am Schlagzeug. Gemeinsam huldigten sie ihrem großen Vorbild, dem Bassisten Charles Mingus. Einen Bass suchte man in diesem Trio aus Berlin aber vergebens, ihre Verneigung galt vielmehr dem Komponisten Mingus. Vor allem von dessen legendärer LP Mingus Ah Um stammten Titel wie Goodbye Pork Pie Hat oder Fables of Faubus, die in der Interpretation von Eberhard/Neuser/Marien nicht immer leicht wiederzuerkennen waren. Aber genau das bereitete ihnen offensichtlich mehr Spaß, als manchen Teilen des Publikums, das sicher überrascht war, solch eine junge, deutsche Gruppe im Großen Haus des Theater Münster zu sehen. In früheren Jahren hatte Festival-Leiter Fritz Schmücker solche Projekte eher im Kleinen Haus präsentiert.
Zum Abschluss des ersten Abends betraten wieder alte Bekannte die Bühne. Bis auf den finnischen Gitarristen Kalle Kalima waren alle Mitglieder des neuen Projekts A NOVEL OF ANOMALY schon mindestens einmal beim Jazzfestival Münster aufgetreten, und zwar alle als Publikumslieblinge, aber in unterschiedlichen Formationen. Viele Besucher erinnerten sich an den schweizerischen Schlagzeuger Lucas Niggli und an den italienischen Akkordeonisten Luciano Biondini, die beide wieder eine unglaubliche Spielfreude ausstrahlten. Das gilt auch für Andreas Schaerer, bei dem sich viele fragten, ob die Bezeichnung Sänger passend ist. Denn wie schon beim Festival vor vier Jahren, war er manchmal Beatbox oder imitierte Instrumente mit Mund und Nase, summte, schnalzte oder jodelte, und sang nur hin und wieder in einer Phantasiesprache. Diesmal war er aber nur Teil des Ensembles, zu dem jeder einzelne einen gleichwertigen Beitrag zum manchmal sehr entrückten Sound beitrug.
www.empiricalmusic.com / www.jazzfestival-muenster.de
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