„Anyone can be Pussy Riot!“ Interview mit russischem Künstlerinnen-Kollektiv "Pussy Riot" / Auftritt im LWL-Museum

"Pussy Riot" mit ihrer Performance "Riot Days" im LWL-Museum für Kunst und Kultur. (Foto: Bastian E.)
„Pussy Riot“ mit ihrer Performance „Riot Days“ im LWL-Museum für Kunst und Kultur. (Foto: Bastian E.)

Das russische Kollektiv „Pussy Riot“ gastierte gestern im LWL-Museum für Kunst und Kultur. „Riot Days“ heisst das aktuelle Programm, dem die Band mehr als gerecht wurde. Bunt, laut, provokativ aber vorallem politisch wurde dem begeisterten Publikum einiges geboten, ja fast zugemutet – im positiven Sinne!

Der Gruppe billiges Putin Bashing vorzuwerfen wäre zu kurz gegriffen, das wäre eine Beleidigung ihrer Biografie. Frontfrau Maria „Mascha“ Aljochina hat harte zwei Jahre Arbeitslager in russischer Gefangenschaft hinter sich. Eben diese Biografie verarbeitet sie nicht nur lautstark auf der Bühne, sondern auch in einem Buch. Um mehr über die Aktivist*innen herauszufinden, haben wir uns mit Taso Pletner, Olga Borisova und Diana Burkot zum Gespräch kurz vor der Show verabredet.

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Hallo zusammen und schön, dass ihr euch die Zeit nehmt und ich mich zu euch setzen darf. Hattet ihr heute schon die Gelegenheit, Münster zu erkunden und euch vielleicht eine unserer Kirchen anzusehen?

Nein, aber wir sind gestern in einer Kirche in Minden aufgetreten. Die Akustik war schwierig, aber den Leuten hat es gefallen.

Ihr seid ja LGBTQ Aktivist*innen der ersten Stunde und habt die queere Community immer unterstützt. Habt ihr schon von diesem schrecklichen Vorfall auf unserem Christopher Street Day gehört, wo ein junger Mann durch Gewalt zu Tode gekommen ist?

Ja, wir wurden gestern darüber informiert. Schrecklich!

"Pussy Riot" im Interview (v.l.): Taso Pletner, Olga Borisova und Diana Burkot. (Foto: Michael Bührke)
„Pussy Riot“ im Interview (v.l.): Taso Pletner, Olga Borisova und Diana Burkot. (Foto: Michael Bührke)

Gibt es in Russland überhaupt sowas wie einen CSD?

Bitte was? Eine CSD Parade in Russland? Undenkbar! Wir haben in Russland ein neues Gesetz, ein sogenanntes „LGBTQ Gesetz“. Wenn du also offen sagst, dass du „queer“ bist, dann fällt das laut diesem Gesetz unter Propaganda und ist somit verboten. Das Gesetz unterstützt auch das Denunzieren von Mitmenschen, die man einfach als „queer“ bei der Polizei melden kann. Es wird sogar in manchen Teilen des Landes behauptet, dass es dort keine „queeren“ Menschen gibt.

Sowas ist für mich nur schwer vorstellbar. Olga, du kennst ja beide Seiten, weil du tatsächlich mal als Polizistin in Russland gearbeitet hast. Was war der Auslöser, den Job an den Nagel zu hängen?

Mit 18 Jahren habe ich dort gearbeitet, aber nach einem Jahr schon wieder aufgehört. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass du in Russland als Polizistin einem System dienst und nicht den Menschen hilfst. Das war für mich nicht vertretbar. Es geht nur darum, Interessen der Regierung umzusetzen.Es geht da nicht um „Heroes“ und „Super Powers“. Desweiteren waren alle meiner männlichen Kollegen dort Sexisten und absolut schwulenfeindlich!

Ihr seid erst letzte Woche in Bern in der Schweiz aufgetreten und direkt verhaftet worden. Was war der Auslöser?

Wir haben dort Graffiti gesprüht, um gegen den Krieg zu protestieren. Einen Teil haben sie übermalt, den Rest kann man noch sehen.

Habt ihr so eine Aktion bei uns in der Stadt auch vor und verratet ihr mir wo?

Klar, denn das haben wir bisher in jeder Stadt so gemacht. Wir verraten es dir aber erst danach.

Die Botschaften der Gruppe auf einer großen Videowand. (Foto: Bastian E.)
Die Botschaften der Gruppe auf einer großen Videowand. (Foto: Bastian E.)

Die Freilassung damals aus dem Arbeitslager kam ja ziemlich überraschend, wenn auch nur drei Monate vor Ende der Haft.Durch eine Amnestie von Putin. Eine fake Amnestie.

Wie du schon richtig sagst, fake Amnestie! Du wirst da heute in der Show vieles zu sehen.

Mich hat euer Mut damals schon sehr beeindruckt, ich meine, ihr wart gerade mal Anfang zwanzig und schon so differenziert und mutig. Für euch mag das komisch klingen, aber ich könnte unseren Bundeskanzler Olaf Scholz in aller Öffentlichkeit beschimpfen und das hätte nicht wirklich Konsequenzen für mich. Vielleicht würde sich die Polizei meinen Namen aufschreiben, aber das wäre es dann auch schon.

Wir leben ganz klar in einer Diktatur! Dennoch gibt es viele, die sich gegen Putin stellen, aber darüber wird natürlich nicht berichtet. Alexei Nawalny ist natürlich der bekannteste Kritiker. Er ist in gewisser Weise berühmt, deshalb wird über ihn berichtet. Es gibt aber genau so viel weitere Kritiker, die leider nicht so eine Aufmerksamkeit bekommen. Es laufen auch viele Gerichtsverfahren gegen Regimekritiker, die unter Verschluss gehalten werden. Leider ist das mediale Interesse daran nicht sehr groß, wenn Aktivist*innen nicht ein gewisses Gewicht mitbringen, wie Alexei Nawalny zum Beispiel.

"Pussy Riot" im Gespräch über ihren Aktivismus, ihre Politik und Diktator Putin. (Foto: Michael Bührke)
„Pussy Riot“ im Gespräch über ihren Aktivismus, ihre Politik und Diktator Putin. (Foto: Michael Bührke)

Da ihr den Namen Nawalny erwähnt. Lasst uns über die Ermordung von Anna Politkowskaja (2006 in Moskau erschossen), Boris Nemzow (2015 in Moskau erschossen), Alexander Litwinenko (2006 in London vergiftet) sprechen. Die Liste ist länger, wie ihr wisst. Würdet ihr Putin als Auftragskiller bezeichnen, der alle seine Gegner aus dem Weg räumen lässt?

Definitiv! Das ist doch genau das, was wir sehen. Er musste sich diesbezüglich niemals einer Debatte stellen, nicht mal vor Wahlen. Es ist verrückt, aber wir haben einen Präsidenten, der sich nicht ein Mal in seinem Leben einer Debatte gestellt hat!

Und damit er noch möglichst lange Präsident bleiben kann, hat er einfach mal so das Gesetz geändert. Theoretisch kann er so bis 2036 durchregieren. Das ist doch krank, was für eine grauenhafte Vorstellung! Lasst uns noch kurz beim Thema Nawalny bleiben. Nachdem er das Attentat gerade so überlebt hat und nach seiner Genesung in Berlin wieder reisefähig war, was ging euch durch den Kopf, als ihr gehört habt, dass er ernsthaft in den Flieger nach Moskau gestiegen ist. Ist er verrückt?

Das Foyer des LWL-Museums. (Foto: Bastian E.)
Das Foyer des LWL-Museums. (Foto: Bastian E.)

Wir respektieren seine Entscheidung. Seine Leute erwarten das von ihm und fordern das auch ein. Es war eine wichtige Entscheidung und er hat sich nicht einfach so aus dem Staub gemacht. Er ist Teil unserer Kultur und Teil unseres Landes. Vielleicht wird er irgendwann mal wieder ein freier Mensch sein.

Angela Merkel hat Nawalny damals in Berlin im Krankenhaus besucht, was für ihre Verhältnisse mehr als ein deutliches Zeichen in Richtung Putin war.

Das mag sein, sie hat sich aber dennoch in Putin getäuscht, zu denken, dass sie Einfluss auf ihn habe.

Wir hier in Münster sind eine weltoffene Stadt, wenn auch als derbe katholisch verschrien. Was kann euer Publikum denn heute Abend von euch erwarten?

Wir haben vor vier Monaten einen „Anti War Song“ aufgenommen, den spielen wir heute ganz am Schluss. Das Publikum erwartet eine Mischung aus Dokumentation, Videos und natürlich Musik. Wir möchten das LWL Museum und unsere Show als eine Bühne für Aktivismus nutzen. Ganz klar wird natürlich die politische Lage von Russland angesprochen und die persönliche Geschichte von Mascha und ihrer Zeit im Arbeitslager.

Vielen Dank für das Gespräch und die offenen Worte. Danke Diana, Olga und Taso.

Danke dir, das Interview war sehr nett.

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Spendenaufruf für ein Kinderkrankenhaus in Kiew. (Foto: Bastian E.)
Spendenaufruf für ein Kinderkrankenhaus in Kiew. (Foto: Bastian E.)

Am Ende des Konzertes ergreift Frontfrau Mascha Aljochina unter tosendem Applaus noch einmal das Mikrofon: „Dies ist eine Antikriegstour. Wir sind gegen diesen Krieg. Wir rufen euch auf, eure eigenen Aktionen gegen diesen Krieg zu unternehmen. Lasst uns vereinen. Ohne euch ist es nicht möglich, dieses Regime zu überwinden. Ruft eure Politiker auf, diesen Krieg nicht zu unterstützen! Volles Embargo für russisches Öl und Gas. Denn ohne Geld machen diese Arschlöcher diesen Scheiß nicht! Bleibt nicht weg, denn Gleichgültigkeit ist die Basis des Bösen. Vielen Dank. Es wäre cool, wenn ihr alle schreit: Fuck Putin. Ist das möglich?“

Groß eingeblendet auf einer Leinwand ruft die Band für Spenden auf, die einem Kinderkrankenhaus in Kiew zu Gute kommen. Der Erlös von Merchandise wird ebenfalls gespendet.

Hier das Interview in voller Länge:

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