Über ein Jahr Haft für Neonazi Tätowiertes Hakenkreuz, Hitlergruß und Gewalt

Neonazi Daniel M. in Münster an der Warendorfer Straße am 1. Mai 2024, wie er einen Hitlergruß zeigt. (Foto: privat)
Neonazi Daniel M. in Münster an der Warendorfer Straße am 1. Mai 2024, wie er einen Hitlergruß zeigt. (Foto: privat)

In Coesfeld wurde der Neonazi Daniel M. zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Unter den vielen Anklagepunkten war auch ein Vorfall in Münster, bei dem der Rechtsextreme an der Warendorfer Straße einen Hitlergruß und sein Hakenkreuz-Tattoo zeigte.

Bereits vorab zeichnete sich eine lange Verhandlung ab, bei der etliche Tatvorwürfe zusammengelegt wurden. Der Richter plante den Ablauf auf drei Stunden mit acht Zeug*innen. Die Akten türmten sich auf der Richterbank.

Von der Körperverletzung zum Hakenkreuz

Neben dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, womit das Hakenkreuz auf seiner Brust gemeint ist, ging es auch um Körperverletzung, Widerstandshandlungen gegen Polizist*innen, mehrere Beleidigungen und Sachbeschädigung. Darunter ein Vorfall in Münster, bei dem Daniel M. oberkörperfrei in Linnenbrinks Garten an der Warendorfer Straße mehrfach den Hitlergruß zeigte und immer wieder Konflikte mit Parkgästen suchte. Dabei soll er sich wiederholt rassistisch und szenetypisch geäußert haben. M. selbst lachte mehrfach über die Vorwürfe und bezeichnete sie als “Schwachsinn“, zu dem er sich nicht äußern bräuchte.

Fahrradfahrer attackiert

Eine der Zeuginnen berichtete von einer traumatisierenden Begegnung mit dem Rechtsextremen. Er soll ihren Mann und eine weitere Person anlasslos vom Fahrrad geprügelt und danach eine Autoscheibe eingeschlagen haben bis Passant*innen ihn überwältigten. Der Zeugin war anzumerken, wie viel Überwindung es sie kostete, vor Gericht auszusagen. Das war offenbar auch dem Richter klar, sodass er den Angeklagten mehrfach fragte, ob er ihr nicht etwas zu sagen habe. Ein kaltes “Ja, was soll ich dazu sagen?” kam dazu von der Anklagebank. Erst als der Verteidiger M. dazu aufforderte, um Verzeihung zu bitten, war ein wenig überzeugendes “Entschuldigung” zu hören.

Ohne Unterstützer, ohne Szeneanwalt

Neben dem Hakenkreuz auf der Brust und einem Eisernen Kreuz auf dem Handrücken tätowiert, belegen weitere Aussagen die rechtsextreme Gesinnung. So soll er sich in seinen Beleidigungen wiederholt rassistisch, antisemitisch, queer-, frauen- und islamfeindlich geäußert haben. Unterstützung aus der Neonaziszene bekam der aktuell in der JVA-Münster Inhaftierte am Prozesstag allerdings keine. Statt eines einschlägig bekannten Verteidigers aus der rechtsextremen Szene, wie in vergleichbaren Fällen üblich, wurde ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet und trotz öffentlicher Verhandlung befanden sich keine Unterstützer im Publikum.

Wohnungslos und Drogenmissbrauch

Der Verteidiger hatte den Vorwürfen nur wenig entgegenzusetzen. Auch, weil der Angeklagte sich größtenteils geständig zeigte. Stattdessen wies der Anwalt auf die schwierigen Umstände hin, denen der Neonazi ausgesetzt sei. Als Mann ohne Kontakt zu seinen zwei Kindern, mit regelmäßigem Drogenmissbrauch und ohne Wohnung habe es der 37-Jährige schwer. Es bestehe aber Hoffnung auf Besserung nach dem Gefängnisaufenthalt. Während sein Verteidiger versucht, ein Bild von einem resozialisierbaren Gewalttäter zu zeichnen, kann sich Daniel M. das Lachen nicht verkneifen. Im Plädoyer selbst sind sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft dann einig: Ein Jahr und sechs Monate Gefängnis wären angemessen.

Durcheinander beim Verfahren
(Foto: privat)
(Foto: privat)

Aufgrund der vielen Vorwürfe kam es immer wieder zu einem Durcheinander im Gerichtssaal. Für die Öffentlichkeit war zwischenzeitlich kaum noch nachvollziehbar, welche Tatvorwürfe gerade zur Verhandlung standen. Doch auch die Aktenlage sorgte für Verwirrung. Den Vorfall in Münster beispielsweise konnten weder Staatsanwaltschaft noch Richter oder der geladene Polizist zeitlich einordnen. Mal ging man von August, dann Mai und dann von 2023 statt 2024 aus. Der Redaktion liegen jedoch eindeutige Aufnahmen, Bilder und Zeugenaussagen vom 1. Mai 2024 vor. Auch für die Polizei Münster wäre das feststellbar gewesen. Allerdings waren offenbar nicht die richtigen Zeug*innen dafür geladen, sodass sich kurzerhand entschieden wurde, den Vorfall nicht mit einzubeziehen.

Zu einem Vorfall in Coesfeld hingegen war ein junger Polizist geladen. Dieser wollte aber weder etwas von einem auffälligen Hakenkreuz-Tattoo gewusst haben, noch erinnerte er sich überhaupt an einen Einsatz. Der Richter staunte darüber nicht schlecht, weil auch er so ein Verfahren noch nicht erlebt habe. In einer schriftlichen Aussage wurde von Bodycam-Aufnahmen gesprochen, die trotz langwierigen Durchsuchen der Aktenordner während der Verhandlung nicht aufzufinden waren.

“Das ist ja krank, was ich hier erlebe.”

Bei einem anderen Vorwurf allerdings lagen Bodycamaufnahmen vor. Diese wurden auch im Gerichtssaal gezeigt und zeigen eine eskalierende Auseinandersetzung mit Beamt*innen und dem Angeklagten. Dabei ist zu hören, wie der Angeklagte sich bei einer Festnahme in Rage redet und eine lange Palette von Beleidigungen herausbrüllt: “Ihr Fischfotzen, ihr seid so Missgeburten. Du kleiner Bastard, Hurensohn. Schlampen, Fotzen, was willst du machen?” hallt es durch den Saal über die Boxen des Flachbildschirms. Der Angeklagte gibt an, dass er das nicht sei. Bis der Richter das Video genau in dem Moment stoppt, an dem ein auffälliges Halstattoo zu sehen ist. Daraufhin zeigt sich der Angeklagte einsichtig, dass er das wohl gewesen sein muss. Im Video ist noch zu hören, wie die Polizistin mit Bodycam sagt: „Das ist ja krank, was ich hier erlebe”.

Urteil
Das Amtsgericht Coesfeld hat die vielen Anzeigen, die gegen den Rechtsextremen vorliegen, zu einer komplexen Verhandlung gebündelt. (Foto: Isaak Rose)
Das Amtsgericht Coesfeld hat die vielen Anzeigen, die gegen den Rechtsextremen vorliegen, zu einer komplexen Verhandlung gebündelt. (Foto: Isaak Rose)

Vom letzten Wort macht der Angeklagte kaum Gebrauch und quittierte das Angebot mit “Alles gut”. Der Richter urteilte überraschend zwei Monate weniger als Staatsanwaltschaft und Verteidigung forderten. Er habe es etwas anders ausgerechnet. Zudem seien einige der Vorfälle aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Urteil eingeflossen. In der Begründung machte er allerdings klar, dass er “gar keine Einsicht” beim Angeklagten sehe. Es würde “keine Auseinandersetzung mit der eigenen Tat” zu erkennen sein. Besonders heftig ordnet er den anlasslosen Angriff gegen Fahrradfahrer ein, der nur stattfand, weil M. sein “Leben nicht im Griff” habe. Er habe “gar nichts vorgetragen, was ihm irgendwie zugute kommen würde.” Stattdessen sei er “völlig perspektivlos” und wenn er “sein Tattoo nicht übertätowieren lassen” würde, wird er sicher nach dem Aufenthalt in der JVA auch wieder dort einwandern. Bereits während der Verhandlung hatte M. erklärt, das Hakenkreuz-Tattoo nicht entfernen zu wollen.

Eine weitere Verhandlung wegen der Sache ist nicht zu erwarten. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung erklärten, auf Rechtsmittel zu verzichten. Auch der Angeklagte stimmte dem mit den Worten “Passt schon.” zu. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

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Kommentar: Ein zerbrochener Neonazi und brüchiges Recht

Der Pflichtverteidiger hatte spürbar Mitleid mit seinem Mandanten. In den Sitzungspausen sprach er ihm gut zu, fast väterlich. Nach der Haft solle er einen Neuanfang wagen, er sei schließlich noch jung. Dieses Mitleid ist menschlich. Auch ein zerbrochener Neonazi bleibt ein zerbrochener Mensch. Doch wer offen an faschistischer Ideologie festhält, wer das Hakenkreuz auf seiner Brust nicht ablegt und weiterhin Hass verbreitet, dem fällt es schwer, Empathie zu wecken. Zu viele Menschen wurden durch genau den Hass bereits getroffen.

Trotz Strafe blieb vor Gericht vieles ungeklärt. Acht Vorstrafen, rassistische Beleidigungen, Hitlergrüße, und dennoch wird der Vorfall vom 1. Mai in Münster, längst öffentlich gemacht in den sozialen Medien, später fallengelassen. Begründung: Man wisse nicht genau, an welchem Tag er stattgefunden habe. Zu einem anderen Vorfall sind Bodycam-Aufnahmen nicht mehr auffindbar. Und dann gibt es einen Polizeibeamten, der sich an gar nichts erinnern kann. Es ist eine ernüchternde Antwort der Justiz und ein weiterer Moment, in dem staatliche Strukturen nicht gegen, sondern neben dem Problem stehen.

Lehrreich bleibt der Fall trotzdem. Erstens, weil er erneut zeigt: Der Staat ist kein zuverlässiger Widerstandskämpfer gegen den Faschismus. Und zweitens, weil er daran erinnert, dass auch ein bemitleidenswert zerbrochener Mensch gleichzeitig ein widerlicher Rechtsextremist sein kann.

2 Kommentare

  1. Jeder Attentäter der in Menschenmassen gefahren ist wird in einer Psychiatrie eingewiesen bei diesem Mensch wird mit Gefängniss verurteilt obwohl er massive Probleme hat

  2. „Doch wer offen an faschistischer Ideologie festhält,“

    Junge, als wenn der kaputte Typ ein hochrangiger NPD-Kader wäre. Der ist ein Junkie, hat heftige Probleme, wird jetzt zurecht bestraft und braucht dringend Hilfe.

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