
Fünf junge Aktivist*innen erhielten vergangene Woche Gefährderansprachen von der Polizei. Der Grund: Sie hatten mit abwaschbarer Sprühkreide die Promenade beschrieben, um auf einen Protest gegen Rechts aufmerksam zu machen.
Am 28. Mai war die Polizei auffällig aktiv. Teilweise mit bis zu vier Beamt*innen gleichzeitig suchte sie fünf Aktivist*innen der Linkspartei jeweils Zuhause für eine sogenannte Gefährderansprache auf. Die Linke Münster kritisiert diesen Einsatz als unverhältnismäßig.
Zwei Tage zuvor hatten die Betroffenen entlang der Promenade den Slogan “Nazis stoppen → 31.5!” mit Kreide angebracht, um auf die Demonstrationen des Bündnisses “Keinen Meter den Nazis” hinzuweisen. Vor Ort stellte die Polizei Personalien fest und erklärte nach Angaben der Linkspartei, dass “das Verwenden von wasserlöslicher Kreide keine Straftat sei” und die Daten “lediglich für den Fall gespeichert” würden, dass es sich doch nicht um Kreide gehandelt habe.
Dann kam es jedoch anders: Die Polizei suchte alle Kontrollierten noch einmal Zuhause auf. In einem Fall soll sogar der minderjährige Bruder einer Betroffenen von den Beamten angesprochen worden sein, um an die Telefonnummer der Schwester zu gelangen. Worum es gehe, sei weder ihm noch der Schwester telefonisch mitgeteilt worden. Erst beim Erscheinen auf der Wache sei klar geworden: Es ging wieder um die Kreide.
Was bedeutet “Gefährderansprache”?
Eine “Gefährderansprache” ist in der Regel ein präventiver Hausbesuch der Polizei mit dem Ziel, mögliche Straftaten zu verhindern. Betroffene sollen das Gefühl bekommen, dass sie im Fokus der Strafverfolgungsbehörden stehen und potentielle Straftaten entsprechend besonders wahrscheinlich aufgedeckt werden. Das kann etwa Personen betreffen, bei denen Hinweise auf eine terroristische Gefahr besteht. Auch vor Demonstrationen ist es möglich, dass zum Beispiel gewaltbereite Personen vorab gewarnt werden. Der Einschüchterungseffekt wird dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern ist auch ein Ziel und Zweck der Maßnahme.
Die Linke stärkt ihren Aktiven den Rücken
Die Linkspartei zeigt sich über das Vorgehen der Polizei irritiert. Kreissprecherin Patricia Niehaus äußert sich kämpferisch: “Sich Nazis entgegenzustellen, ist Ausdruck von Zivilcourage und sollte selbstverständlich sein. Wenn die Polizei Aktivist*innen durch unangekündigte Besuche und Drohgebärden einschüchtern will, stellt sich die Frage nach ihrer Rolle im demokratischen Diskurs. Wir stehen ohne Wenn und Aber hinter dem antifaschistischen Engagement der Beteiligten.”
Juristisches Nachspiel
Die Aktion könnte auch ein juristisches Nachspiel haben. Der Anwalt Julius Altmiks, der eine Betroffene vertritt, hält die Maßnahme für rechtswidrig: “Nur weil sie mit Straßenmalkreide gegen Nazis protestieren, werden junge Menschen nicht zu Gefährdern. Es ist auch nicht Aufgabe der Polizei, junge Menschen einzuschüchtern, die sich demokratisch engagieren. Die Gefährderansprachen sind daher unangebracht und eindeutig rechtswidrig. Das haben Gerichte in ähnlichen Fällen bereits bestätigt.”
Die Linke Münster fordert die Löschung aller im Zuge der Maßnahme erhobenen Daten und kündigte an, weitere rechtliche Schritte prüfen zu lassen. Auf Nachfrage der Redaktion bestätigt die Pressestelle der Polizei die Gefährderansprachen und kündigt an, die Kritik in die Nachbereitung des Einsatzes beim Protest einfließen zu lassen.
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Kommentar
Polizeibeamt*innen in voller Montur vor der Haustür, das lässt niemanden kalt. Man denkt zuerst: Ist bei den Nachbar*innen etwas passiert? Und wenn sie dann bei einem selbst klingeln, glaubt man vermutlich, es gehe um etwas wirklich Ernstes. Wenn die einem dann aber erklären, dass man wegen einer kleinen Kreideaktion im Auge der Justiz ist, kommt unwiderruflich die Frage auf, was denn mit den Augen der Justiz überhaupt los sein muss. Für die Aussage “Nazis stoppen” braucht es nun wirklich weder eine linke Weltanschauung noch eine militante Einstellung. Wer ein bisschen Anstand hat, sollte dem zustimmen können.
Vielleicht wollten die Beamt*innen einfach als besonders engagierte Sozialarbeiter*innen auftreten, alles nur gut gemeint. Leider ist das aber nicht die Aufgabe der Institution Polizei und das macht sich spätestens an der Uniform und Bewaffnung bemerkbar, wenn sie in voller Montur vor der Haustür stehen. Insbesondere nach den Vorwürfen gegen das Verhalten der Polizei am vergangenen Samstag (ALLES MÜNSTER berichtete), sollte es aber nicht wundern, wenn so ein Einsatz das Vertrauen in die Polizei weiter sinken lässt. Eigentlich muss klar sein: Kreiden ist kein Verbrechen und Nazis stoppen bleibt anständig.
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