Die letzten 140 ihrer Art Schildkrötenschutz: Das unglaubliche Rennen gegen die Zeit im Allwetterzoo Münster / Ihr tatsächlicher Lebensraum ist der Wissenschaft bis heute ein Rätsel

6 % des bekannten Weltbestands von Zhous Scharnierschildkröte in der Hand eines Mitarbeitenden aus dem IZS. (Foto: Ch. Langner)
6 % des bekannten Weltbestands von Zhous Scharnierschildkröte in der Hand eines Mitarbeitenden aus dem IZS. (Foto: Ch. Langner)

Sie zählt zu den fünf am stärksten bedrohten Schildkrötenarten, weltweit! Die Rede ist von Zhous Scharnierschildkröte. Ein gravierendes Problem dabei ist, dass ihr natürliches Verbreitungsgebiet im Gegensatz zu anderen hochgefährdeten Arten noch immer unbekannt ist.

„Diese Schildkrötenart wurde ursprünglich auf chinesischen Märkten entdeckt, ihr tatsächlicher Lebensraum ist der Wissenschaft jedoch bis heute ein Rätsel“, erklärt Elmar Meier. Er war zusammen mit seiner Frau Initiator und Begründer des weltweit renommierten Internationalen Zentrums für Schildkrötenschutz (IZS) im Allwetterzoo Münster. „Es wird angenommen, dass diese Art nicht aus China stammt, sondern aus dem benachbarten Nordvietnam, da die chinesischen Städte Pingxiang und Nanning, auf deren Märkten die ersten Exemplare auftauchten, einen regen Wildtierhandel mit Vietnam unterhalten.“ Daher vermuten Experten, dass die Schildkröten über diese Handelswege in den chinesischen Markt gelangten, um die dortige hohe Nachfrage zu befriedigen.

„Ihr tatsächlicher Lebensraum ist der Wissenschaft bis heute ein Rätsel“

Hinweise zur Bestätigung auf diese Vermutung liefern die bevorzugten Haltungsparameter von Zhous Scharnierschildkröte (Cuora zhoui), die im IZS in Münster erfolgreich ermittelt wurden. „Die Tiere sind empfindlich gegenüber dauerhaft hohen Temperaturen und im Gegensatz zu anderen Scharnierschildkröten der Gattung Cuora fast ganzjährig auch bei niedrigen Temperaturen aktiv“, weiß Christian Langner, zuständig für das IZS im Allwetterzoo. „Sie fressen sogar noch bei kühlen 12 °C und verdauen problemlos.“ Dies deutet darauf hin, dass sie Bewohner kühler Bergwaldhabitate sind, wie sie typisch für das Hochland Nordvietnams sind.

Die beiden Schildkrötenexperten des IZS sind sich einig, die Entdeckungsgeschichte von Cuora zhoui ist abenteuerlich: „Nachdem Ende der 1980er-Jahre die ersten Tiere auf chinesischen Märkten auftauchten, wurde schnell erkannt, dass es sich um eine der Wissenschaft völlig unbekannte Art handelte“, berichtet Meier noch immer voller Begeisterung, als wäre die Art erst gestern entdeckt worden. „1990 wurde sie von chinesischen Wissenschaftlern als Cuora zhoui beschrieben, benannt nach dem Vater einer der Erstbeschreiberinnen.“ Langner ergänzt: „Ein Jahr später wurde die Art, wohl in Unkenntnis der chinesischen Arbeit, von amerikanischen Herpetologen als Cuora pallidicephala ein zweites Mal beschrieben. Genetische Untersuchungen haben mittlerweile eindeutig belegt, dass C. zhoui eine eigenständige Art ist und keine Hybride, wie anfänglich von einigen Wissenschaftlern vermutet.“

Lange Zeit stand zu befürchten, dass die genaue Herkunft von Zhous Scharnierschildkröte niemals geklärt werden könnte, da über Jahre keine Exemplare mehr auf den Märkten auftauchten und ein Aussterben in der Natur befürchtet wurde. „Glücklicherweise wurden jedoch 2010 und 2017 noch zwei Wildfangweibchen auf chinesischen Märkten entdeckt, was die Hoffnung weckt, die Art in ihrem natürlichen Lebensraum aufzuspüren“, sagt Christian Langner. Derzeit läuft auf Initiative des Turtle Conservation Fund (TSF) eine Erhebung in Nordvietnam, um das Rätsel der Herkunft zu lösen. Auch die Suche mittels Environmental DNA (eDNA) könnte hier hilfreich sein. „eDNA bezeichnet freie DNA in der Umwelt. Sie wird in geringen Mengen von Organismen in die Umwelt abgeben und lässt sich hier schon in sehr geringer Konzentration, mit modernen Analysemethoden nachweisen“, fügt Langner erklärend hinzu.

Seit Bestehen des IZS wurden hier 71 Tiere nachgezogen

Schätzungen zufolge gelangten insgesamt nur etwa 200 bis 300 Cuora zhoui als Wildfänge lebend in die USA, nach Europa und Japan. Davon leben heute in den USA und Europa nur noch etwa 30 Tiere. „Im IZS Münster konnte die Art durch kontinuierliche Nachzucht vermutlich vor dem Aussterben bewahrt werden“, so Elmar Meier, der die ersten Tiere nach Münster holte – und dem auch die Welterstnachzucht gelang. „Im IZS leben zurzeit ein Männchen, sechs Weibchen und zwei Jungtiere.“ Das verstorbene Weibchen sorgte für 20 gesunde Nachzuchten. Seit Bestehen des IZS wurden hier 71 Tiere nachgezogen. „Insgesamt erzielte Elmar [Meier] mit den Tieren dieser Zuchtgruppe seit 1994 90 Nachzuchten. Das Münsteraner Zuchtbuch umfasst derzeit 97 Tiere“, merkt Langner anerkennend über Elmar Meier an. Was das Team in Münster besonders mit Stolz erfüllt ist, dass es bereits Nachzuchten von zuvor im IZS geschlüpften Tieren gibt. „Es wird dann von sogenannten F2-Jungtieren und F2-Generationen gesprochen.“

Die geringe Anzahl an Ausgangstieren macht eine umfangreiche Kooperation aller beteiligten Institutionen und Privatleute unerlässlich, um Cuora zhoui dauerhaft in größtmöglicher genetischer Varianz zu erhalten. Jedes einzelne Wildfangtier hat einen unschätzbaren genetischen Wert. „Werden alle überlebenden Nachzuchten hinzugezählt, umfasst der aktuelle Weltbestand nur etwa 140- 150 Tieren. Im Jahr 2013 wurde der Gesamtbestand noch mit 108 angegeben, davon 49 Wildfänge“, so die Experten des IZS. Die Zunahme durch Nachzuchten wird jedoch durch den Verlust genetisch wertvoller Wildfangtiere gedämpft. Diese Verluste werden unter anderem auf innerartlichen Stress durch Gemeinschaftshaltung zurückgeführt, weshalb die Tiere im IZS alle einzeln untergebracht sind. „Wir im IZS nehmen mit unseren umfangreichen Nachzuchterfolgen eine Sonderstellung ein und haben ein EAZA Ex situ Programme (EEP) für insgesamt sechs Cuora Arten initiiert, die alle von Dr. Philipp Wagner, Artenschutzkurator im Allwetterzoo, koordiniert werden“, blickt Christian Langner in die Zukunft. Aber: „Die Lage bleibt kritisch.“

Haltung im IZS: Cuora zhoui ist eine mittelgroße Cuora-Art. Männchen erreichen eine Carapaxlänge, gemeinsprachlich Rückenpanzer, von etwa 17 cm und wiegen 450–760 g. Weibchen werden maximal 19 cm groß und wiegen zwischen 750 und 1.200 g. Männchen haben zudem einen deutlich längeren Schwanz.

Zhous Scharnierschildkröte lebt überwiegend aquatisch. Im Gegensatz zu vielen anderen Scharnierschildkröten ernährt sich Cuora zhoui fast ausschließlich karnivor. Die abwechslungsreiche Futterpalette umfasst Fisch, Muschelfleisch, Krebse und Garnelen, Regenwürmer, ein hochwertiger vom Team selbst produzierter „Schildkrötenpudding“ und spezielle Schildkrötenfutterpellets.

Für eine erfolgreiche Fortpflanzung der sehr stressanfälligen Schildkröten ist eine strikte Einzelhaltung obligatorisch, wobei jeglicher Sichtkontakt zu Artgenossen vermieden werden muss, da selbst Spiegelungen aggressives Abwehrverhalten hervorrufen können. Tiere werden zur Paarung gezielt unter permanenter Aufsicht zusammengesetzt und danach sofort wieder getrennt. Erfolgreiche Verpaarungen finden vor allem im zeitigen Herbst und im Frühjahr jeweils um die Tagnachtgleich statt.

Männchen erreichen die Geschlechtsreife im Alter von sieben Jahren, während Weibchen deutlich länger brauchen, in einigen Fällen sogar 18 bis 19 Jahre. Die Eiablage erfolgt im IZS in der Regel im Juni. Die Gelegegröße schwankt zwischen drei und sieben Eiern pro Saison.

Die Aufzucht der Jungtiere erfolgt unter ähnlichen Bedingungen wie für die großen und geschlechtsreifen Tiere, ebenfalls in Einzelhaltung.

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