„Der Stuhl Petry“: Storno rechnet mit 2016 ab

Storno rechnet im Jahresrückblick auch mit der AfD ab. (Foto: bk)
Storno rechnet im Jahresrückblick auch mit der AfD ab. (Foto: bk)

Dass man eine ganze Beethoven-Sinfonie mit dem Ploppen von Bügel-Bierflaschen spielen kann, wissen wahrscheinlich nur diejenigen, die mit Jochen Rüther am Lagerfeuer Stockbrot gebacken haben. Zusammen mit Thomas Philipzen und Harald Funke kann er das aber noch perfekt auf der Bühne imitieren. Besser bekannt sind die drei als Storno und gestern waren sie mit der Abrechnung für 2016 im H1.

Natürlich ist der Saal lange ausverkauft. Storno hat ein ständig wachsendes Stammpublikum und das kennt auch die Charaktere, die den dreien verordnet ist. Rüther ist der Intellektuelle, über den Dingen stehende, der moderiert und für Ausgleich sorgt. Philipzen spielt den Vorlauten, nach vorn Preschenden, durchaus schon mal auf Krawall gebürstet. Funke hingegen spielt den dummen August. Es ist politisches Kabarett, das mit 2016 abrechnet, aber auch schon mal einen Blick nach vorne wirft.

Am 10.Februar will die AfD ihren Neujahrsempfang im Friedenssaal im Rathaus begehen – mit Frauke Petry. Rüther will – wie in einer guten Demokratie üblich – die AfD zu Wort kommen lassen, doch Funke findet das alles „scheiße“. Man könne das auch anders ausdrücken, erbost sich Philipzen, das sei „der Stuhl Petry“. Das ist das Tüpfelchen auf dem i. Storno hat sich für diesen Gag warmgelaufen, die AfD beansprucht einen großen Teil des Abends – sie liefert ja auch genug Stoff – denkt man etwa an Gauland und Boateng, oder an Beatrix von Storch, die bekanntlich wieder eine „deutsche, also arische, nicht-muslimische“ Nationalmannschaft spielen lassen wolle. „Dann spielen wir ohne Mittelfeld“, stellt Philipzen fest. „Na und“, legt er von Storch Worte in den Mund, „Dann spielen die eben alle rechts außen.“ Bevor es zu eingleisig und damit ermüdend wird, verlassen die Stornos – Profis eben – das Thema AfD. Es gibt ja so viel anderes.

Trump zum Beispiel, dessen Pendant bei uns Lothar Matthäus hieße, wenn die Deutschen nicht so langweilig wären. Obwohl der ja nur vormittags könne, nachmittags müsse er seiner neuen Freundin ja bei den Hausaufgaben helfen. Oder den Brexit, den die Jungen nicht entschieden hätten. Sie hätten keine Zeit gehabt, wählen zu gehen, weil sie Pokémons jagen mussten. Die Alten hätten gebrexittet – deshalb heiße es ja auch Wahl-Urne. Schon würden die ersten Stimmen laut nach einem Säxit. Zwischendurch greifen die drei Kabarettisten immer wieder beherzt zu den Instrumenten Keyboard, Gitarre, Ukulele, Cajón und machen aus Major Tom schon mal die SPD, die auf die Frage, weshalb sie denn die Hälfte ihrer Mitglieder verloren habe, lapidar antwortet: „Wir haben doch versprochen, die Hälfte der Schwervermittelbaren unterzubringen.“

Zwischendurch greifen die Stornos zu ihren Instrumenten. Hier Thomas Philipzen an der Gitarre. (Foto: bk)

Der arme Torsten in der ersten Reihe verkörpert willkürlich und unfreiwillig jene 0,1 %, die über 3 Billionen Volksvermögen verfügen, oben an den Notausgängen sitzen die Hartz-IV-Bezieher. So wird der Saal nach und nach eingeteilt und Torsten zur Adoption von 2 Millionen „Hartz-Kindern“ genötigt. Aber wo sollen die alle schlafen? Hintergrund der ganzen Aktion ist jedenfalls die Besteuerung von Erbvermögen. Die drei Stornos gleiten so rasant und geschmeidig zwischen den Themen hin und her, als ob es keine Grenzen gäbe. Manchmal leisten sie sich einen Rückbezug zur AfD und Petry, ohne das konkrete Thema aus den Augen zu verlieren.

Harald Funke mimt außerdem den Verschwörungstheoretiker. Erdogan, Europameisterschaft, European Song Contest – was immer auch gerade an der Reihe ist – Funke steht mitten auf der Bühne und erklärt voller Überzeugung: ESC – gibt’s doch gar nicht. Dabei hatte er gerade vorher noch deutlich gemacht, wie sehr sein Herz leide bei „Germany: Zero Points“. Aber Philipzen hat die Lösung und zeigt eine grandiose Lindenberg-Parodie. Da heißt es dann im nächsten Jahr wieder „Germany: Twelve Points“ und wir landen noch vor Australien. Als es dann zum Schluss – nach weit mehr als zwei Stunden Spielzeit – darum geht, ein besonderes Jubiläum zu würdigen, fällt Philipzen „100 Jahre Jugendherberge“ ein. Doch Rüther hat anderes im Sinn und die Kleingeistigkeit seiner Mitspieler lässt ihn verzweifeln. Rüther meinte Miguel de Cervantes, den Autor von Don Quichotte und Sancho Panza, der 2016 400-jährigen Todestag hatte. Und schon galoppieren Rüther Quichotte und Philipzen Panza mit Steckenpferd und -Esel über die Bühne. Der arme Funke spielt die Windmühle. Aufgeführt wird ein modernes Märchen mit Seehofer und Merkel, das sich aber ansonsten an der literarischen Vorlage orientiert.

In der Zugabe kommt Thomas Philipzen aber doch nochmal auf die 100 Jahre Jugendherberge zurück und dann wird auch am Lagerfeuer Beethoven geploppt. Ein herrlicher Abend mit erfrischenden, spritzigen, selbstironischen Künstlern, die Unmengen von Text ohne den kleinsten erkennbaren Texthänger drauf hatten.

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