Montagabend in der MCC Halle Münsterland. Der Altersdurchschnitt des Publikums von BAP liegt bei etwa 65 Jahren (das des Sängers noch darüber!) und da erscheint es erst einmal angemessen, dass der gesamte Innenraum des Saals bestuhlt ist. Um Punkt 20:00 Uhr wird es zappenduster und ab jetzt dauert es keine fünf Minuten bis zu dem Moment, in dem man diese Maßnahme stark hinterfragt.
Klaviertasten und Saxophon erzeugen die ersten Klänge des Abends, bevor der markante Kölner Dialekt erklingt. Sänger und Frontmann Wolfgang Niedecken läutet das Konzert mit dem Song „Koot vüür aach“ ein und untermauert die Zeile „Ich benn fruh, dat ich Jas jevve kann“ (das geht noch ohne Dolmetschen, oder?) mit dem ersten akustischen Paukenschlag seiner Band. Ein kräftiger, klarer Sound erfüllt die große Halle und man ahnt, dass BAP trotz melancholischer Texte auch ordentlich nach vorne prescht.
Wieso stehen hier überhaupt Stühle?
Beim zweiten Song hat sich auch der letzte Hintern erhoben. Das Publikum ist gekommen, um zu feiern. Für den kollektiven Energie-Schub hat Niedecken eine Erklärung parat: „Durch Corona konnten wir damals die Songs des neuen Albums nicht live spielen. Als wir endlich wieder auf der Bühne standen, wollte ich so viele neue Stücke wie möglich in die Setlist pressen und dachte: das kann man eigentlich nicht machen. Die Leute wollen doch auch Stücke hören, die sie schon ewig kennen.“ Und so sei die Idee für die „Zeitreise 81/82“-Tour entstanden. „Bei vielen Stücken aus der ersten Hälfte der 80er haben die Leute Tränen in den Augen und werden plötzlich 40 Jahre jünger! Unfassbar, das ist wie eine Verjüngungskur!“
Der Sänger weiß mit Publikum und Worten umzugehen. Das Konzert ist gespickt mit sentimentalen, amüsanten und absolut authentisch wirkenden Anekdoten, die einen mitnehmen in die jeweilige Entstehungsgeschichte der Musiktitel. Mal liegt man mit Niedecken „Fuhl am Strand“, mal bestaunt man die revolutionäre Entdeckung des „Waschsalons“.
Unendlicher Schatz an Geschichten
Der 73-jährige Musiker schöpft aus einem scheinbar unendlichen Schatz an Geschichten – und Energie. Als sich der Song „Nimm mich mit“ dem Ende neigt, tut er dies mit einem solchen Klangfeuerwerk, dass man sich am Finale des Abends wähnt. Leise drängt sich der Gedanke auf, wie sich das bitte noch steigern soll. Wie wäre es zum Beispiel mit einer plötzlich die Bühne durchquerende Blaskapelle? Oder dass der gesamte Saal freudig zu dem Anti-Karnevals-Hit „Nit für Kooche“ mitschunkelt?
Die Musikinstrumente und Wolfgang Niedeckens Stimme verschmelzen zu einem beeindruckend starken Sound, dessen akustische Präsenz von rotierenden blauen und roten Lichtkegeln visualisiert wird. Der Großteil der anwesenden Westfalen dürfte die Texte des Kölners wohl nur eingeschränkt verstehen, was dem lauten Mitsingen allerdings nicht im Wege steht. Das Lied „Wellenreiter“ kündigt er mit einer deutlichen Aufforderung an: „Seid ihr textsicher? Ich sing nur die ersten zwei Worte jeder Zeile – ihr macht den Rest!“ Spoiler: Es hat funktioniert.
„So, jetzt setzen wir uns alle mal hin. Jetzt kommen Stücke, die wir früher nie spielen konnten. Die halten bei Rock’n’Roll-Konzerten nämlich den Betrieb auf!“ Und selbst die Balladen klingen bei BAP kraftvoll. Jedes einzelne Bandmitglied ist mit voller Leidenschaft im Augenblick. So auch Benny Brown, der bei seinem Heimspiel in Münster mit seinem Trompetensolo für Gänsehaut sorgt.
Balladen mit romantischen Tönen
Die Band hat eine derartige Ausdauer, dass heiß ersehnte Hits wie „Verdamp lang her“ und „Kristallnacht“ mit einer „Wartezeit“ von zwei Stunden einen Zeitpunkt erreichen, zu dem manch` jüngerer Künstler schon längst wieder im Tourbus sitzt. Niedecken und seine Band zeigen, dass Rock’n’Roll kein Alter kennt.
Romantische Töne kann der Altrocker auch. Als Niedecken zur Begleitung seiner musikalischen Liebeserklärung „Do kanns zaubre“ um Handylichter bittet, funkeln diese mit so manchem Augenpaar um die Wette. Und lässt man seinen Blick durch die Konzertreihen schweifen, wird einem klar: Das sind nicht einfach nur Musikfans. Das sind Menschen, die BAP seit Anbeginn treu begleiten. Menschen, in dessen Jugend der Sänger mit seiner unverwechselbaren Stimme fest verankert ist. Wolfgang Niedecken ist mehr als ein Sänger – er ist ein Jeföhl.
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