Nicholas Müller – Ich bin mal eben wieder tot.

Nicholas Müller bei seiner Lesung in der Pension Schmidt. (Foto: tm)
Nicholas Müller bei seiner Lesung in der Pension Schmidt. (Foto: tm)

Nicholas Müller – Ich bin mal eben wieder weg. Das wäre vielleicht treffender gewesen, denn ehrlich gesagt, dachte ich mir, dass es ein ganz alltäglicher „Reporter-Abend“ wird. Fotos schießen, gespannt dem Geschehen lauschen, Notizen machen und alles hinterher zu einem guten Artikel zusammenfügen. Doch es kam ein wenig anders…

Als ich am Sonntag Abend um 19:10 Uhr an der Pension Schmidt eintreffe, erwartet mich eine lange Warteschlange am Einlass. „So viele Münsteraner stehen für eine Lesung an“, denke ich mir noch, bevor ich mich ebenfalls hinten anstelle. Als ich dann eingetreten bin, gibt es bereits keine freien Plätze mehr. „Ist ja auch komplett ausverkauft“, kommt es mir beiläufig in den Kopf. Aber es stört mich eh nicht, da man es gewohnt ist, unauffällig am Rand zu stehen, wenn man seine Fotos macht. „Also kann ich auch noch kurz eine rauchen gehen, bevor es losgeht“, sage ich zu mir selbst und mache mich auf den Weg vor die Tür, um meinen Plan direkt in die Tat umzusetzen. Dort sehe ich dann einen etwas aufgeregt wirkenden Nicholas Müller, der wohl ebenfalls noch schnell eine durchziehen will, bevor es los geht.

Als Nicholas seine Zigarette aufgeraucht hat und sich zur Lesung seines Buches in die Pension begibt, macht auch eine Handvoll anderer Raucher ihre Kippen aus. Schnell noch einen letzten Zug und ich tue es ihnen gleich. Nicholas Müller betritt die Bühne und startet zur Einleitung direkt mit einem Song. „Okay, er ist schließlich Musiker“, erschließt es sich mir und ich versuche die ersten Fotos zu schießen. Auf den Song achte ich dabei nicht wirklich, denn es geht ja um die Lesung, über die ich etwas schreiben soll. Dennoch bemerke ich, wie sich gerade irgendwas verändert, kann das aber nicht ganz einordnen. Also beachte ich dieses Gefühl jetzt nicht weiter, denn ich will ja auch eigentlich in diesem Moment gerade nur Fotos machen.

Da es nun gerade ein bisschen lauter ist, störe ich damit auch niemanden. Doch dieses Gefühl, was ich nicht weiter beachten wollte, wird so stark, dass ich aufhöre zu fotografieren und beginne, seiner Stimme zu lauschen. „… meine Angst baut sich ein U-Boot aus Neugier und taucht darin davon“ –  als er mit diesen Zeilen seinen Song beendet, sehe ich durch meine mittlerweile ganz glasigen Augen, wie sich die ersten Gäste ihre Tränen von der Wange wischen. Bereits jetzt wird mir klar, dass ich nicht um 21:30 Uhr zu Hause sein werde.

Der Song ist beendet, Nicholas setzt sich an den für ihn vorbereiteten Tisch und erzählt kurz, warum er heute hier ist und weshalb er bestimmte Passagen seines Buches für die nun folgende Lesung ausgewählt hat. Abschließend ein kleiner Gag und dann richtet er sich mit ernsten aber fürsorglichen Worten an die Gäste: „Einige von euch sind ja nicht nur wegen mir hier, sondern weil sie von dem Thema betroffen sind. Es kann passieren, dass das, was ihr gleich hören werdet, etwas in euch auslöst und ich möchte euch nur um eine Sache bitten. Bitte sagt dann einfach nur kurz Bescheid und ich werde eine kurze Pause machen“.

Zu diesem Zeitpunkt ist mir nicht genau bewusst, was er eigentlich damit meint und ich denke unbekümmert, „Was soll den jetzt so krasses passieren, dass man so etwas erwähnen muss?“. Nicholas Müller startet seine Lesung mit den Kapiteln aus seiner Jugend und kommt dann zu zu dem Ereignis, das seine erste Panikattacke ausgelöst hat. Dieses Erlebnis sollte sein weiteres Leben komplett aus der Bahn werfen. Er berichtet davon, wie seine Mutter eines Tages vom Arzt nach Hause kommt und ihm die Diagnose mitteilt. Sie hatte im Vorfeld ein paar Knoten in ihrer Brust ertastet und wollte das einfach nur überprüfen lassen. Diagnose: Krebs.

In diesem Moment denke ich an meinen Opa. Nicholas liest weiter, wie sehr seine Mutter gegen diese Krankheit ankämpft, wie ihr Körper immer mehr abbaut und sie dennoch versucht, stark zu sein. Sie will auch nach außen hin stark sein und probiert, sich ihre Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Sie versucht, sich einzureden, dass alles doch noch gut ausgehen wird. Sich ihre eigene Hoffnung schaffen.

(Foto: tm)
(Foto: tm)

„Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“, so steht es in Korinther 13:3. Ich weiß nicht mehr, ob es genau dieser Vers aus der Bibel war, den er auf ein Bild schrieb, welches im Krankenzimmer seiner Mutter gegenüber des Bettes aufgehängt wurde, aber „Glaube, Hoffnung und Liebe“, war genau das, worum es nun noch ging.

Fotos habe ich seit der Mitte seines einleitenden Songs bereits keine mehr gemacht. Nicht nur, dass es störend gewesen wäre, wenn ich die Lesung durch das Umklappen des Spiegels meiner Kamera beim Auslösen gestört hätte. Ich hätte es auch als unpassend empfunden. Nein, ich hätte es gar nicht machen können, denn es ging mir genau wie den meisten Besuchern dieser Veranstaltung. Neben einem dicken Kloß im Hals, der das Sprechen oder Trinken verhinderte, machten die Tränen in den Augen ein Fotografieren unmöglich.

Heute Abend ging es gar nicht um DEN Nicholas Müller, den Sänger der erfolgreichen Band „Jupiter Jones“, der wegen seiner Angststörung die Band verlassen musste. Nein, es ging darum, dass jedem Menschen so etwas passieren kann und sich an diesem Abend, jeder der Gäste genau dessen bewusst wurde. Eine Woche nach dem Tod seiner Mutter erlitt Nicholas seine erste Panikattacke, etwas womit er im Vorfeld nie Probleme gehabt hat.

Im weiteren Verlauf seiner Lesung erzählt er von seiner Therapie, der Gründung seiner neuen Band „von Brücken“ und seinem größten Erfolg. Sein größter Erfolg war jedoch nicht ein Top-Hit mit der Band, sondern das Verlieben in seine jetzige Ehefrau, mit der er eine kleine Tochter hat. Dieses kleine Mädchen hat ihm geholfen, seine Krankheit in den Griff zu kriegen.

Zum Abschluss seiner Lesung erzählt er – mit vor Glück strahlenden Augen – wie er seiner Tochter beim Klettern zu sieht und sie keinerlei Ängste vor den waghalsigsten Manövern hat, die bei ihm eigentlich alle Alarmglocken auslösen würden. Sein Kind hat ihm gezeigt, wie schön das Leben sein kann, wenn man wie ein Kind an vieles ran geht. Was soll schon passieren, wenn man hinfällt? Man bricht sich im schlimmsten Fall einen Arm, meistens aber hat man nicht mal einen Kratzer und steht einfach wieder auf.

Mit dieser Info beendet Nicholas seine Lesung und stimmt einen letzten Song an, den er aufgrund der Uhrzeit bereits ohne Mikro singen muss, damit die Nachbarn der Lokalität nicht gestört werden. Normalerweise würde spätestens jetzt die ersten Gäste aufstehen und sich auf den Heimweg machen. Nicht nur, dass während der gesamten Lesung niemand an die Theke oder auf die Toilette gegangen ist, nein, nicht mal jetzt zum Ende des Programms erhebt sich irgendwer von seinem Platz.

Ein Lied zum Abschluss eines denkwürdigen Abends. (Foto: tm)
Ein Lied zum Abschluss eines denkwürdigen Abends. (Foto: tm)

Jeder möchte noch ein Exemplar seines Buches erhalten, welche er im Anschluss sogar noch signiert, obwohl es mittlerweile 23:15 Uhr ist und er am nächsten morgen um 6:00 Uhr den nächsten Termin eines Kölner Radiosenders hat. Spätestens jetzt wird ganz deutlich, dass Nicholas dieses Buch nicht nur geschrieben hat, um vielleicht alles nochmal zu verarbeiten und damit nach seiner Therapie endgültig abzuschließen, sondern dass er es tat, um damit andere darauf aufmerksam zu machen. Um Betroffenen zu zeigen, dass man es in den Griff kriegen und wieder ein normales Leben führen kann.

Das Buch und weitere Infos findest du hier.

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