(Keine) Ohnmacht im Theater – die Nibelungen

Das Trauerspiel „Die Nibelungen“ läuft zurzeit im Theater Münster. (Foto: CCO)

Wäre nur das Lindenblatt nicht gewesen. Wahrscheinlich wäre alles anders ausgegangen, schließlich hätte Hagen nicht die eine verwundbare Stelle bei Siegfried finden können, die von eben jenem Blatt bedeckt war, als Siegfried im Drachenblut badete. Die Nibelungensage – sie ist das deutsche Heldenepos schlechthin. Das Trauerspiel „Die Nibelungen“ von Friedrich Hebbel läuft zurzeit im Theater Münster, und es war Regisseur Frank Behnke selbst, der vor der 190-Minuten-Aufführung am Dienstag Abend ein paar Änderungen bekannt gab.

„Angesichts der Vorkommnisse in der Welt“, beginnt Behnke „sind unsere Probleme gering.“ Und dann erzählt er, dass die Mechanik und Hydraulik der beweglichen Treppe – nicht unwichtig für seine Inszenierung – leider ausgefallen seien, und dass zudem Sandra Bezler in der Rolle der Brunhild eigentlich ins Bett gehöre, so krank sei sie, dass sie aber trotzdem spielen wolle, sich nur gelegentlich mehr als vorgesehen den Bademantel überstreifen werde. Das gibt natürlich spontan Applaus. Schließlich erhebt sich der Mensch nicht nur über die Technik sondern sogar die Schauspielerin über die eigene Gesundheit.

Die Geschichte beginnt in Worms am Hofe des Burgunder Königs Gunther. Wie immer in solch grandiosen Sagen geht es (auch) um Frauen, in diesem Fall um Brunhild, die in Gunthers Blickfeld geraten ist. Es geht aber auch um Gunters Schwester Kriemhild und den zufällig vorbeikommenden Helden Siegfried. Siegfried hat zwölf junge, hellblonde Recken bei sich, die den Unterleib in Bärenfall gehüllt haben. Sie sprechen immer alle gemeinsam, was schon sehr beeindruckend ist. Die Zuschauer fragen sich wohl insgeheim, wo und wie denn ansonsten die bewegliche Treppe zum Einsatz kommt. Denn Siegfried und mit ihm die Recken kommen über die Treppe hinauf, die aus dem Orchestergraben auf die Bühne führt. Die Bühne selbst ist – bis auf eine kleine Spielfläche – mit einer großen schwarzen, konisch zulaufenden Treppe versehen, auf der das Heldenepos seinen Lauf nimmt. Die großen Gefühle der Welt treffen sich, Eifersucht und Rache sind eine Mixtur, die selten Gutes gebären. Und so gibt es auch in Münster reichlich Theaterblut. Dass Hagen mit dem Speer die eine Stelle in Siegfrieds Rücken durchbohrt, als dieser auf der Jagd gerade Wasser trinkt, haben die Theaterleute besonders dramatisch in Szene gesetzt. Das Publikum sieht Hagen unten beim Dartwerfen, von Decke stützt ein riesiger Speer, der sich in den Boden bohrt und Siegfried steht mit Blut besudelt an der Quelle. Er torkelt die Treppe hinab und klagt seine „Freunde“ an.

All diese Dramatik erfolgt in mittelhochdeutscher Sprache. Das hat Regisseur Behnke richtig gut gemacht: Hebbels Überlieferung ist ganz vorsichtig modernisiert worden, zwischendurch gibt es frische Musikeinlagen und einen Seitenhieb auf Rechtspopolisten. Insgesamt hat man das Stück kürzen müssen, um es auf einen Theaterabend zu begrenzen. In der münsteraner Fassung sind einige Figuren sogar ganz weggefallen, was aber die Geschichte auch durchschaubarer macht und den Konflikt verengt. Die Hauptrollen mit Claudia Hübschmann als Kriemhild und Jonas Riemer als Hagen Tronje sind exzellent besetzt. Überhaupt verdient das Ensemble sehr gute Noten.

Ganz am Schluss, nach über drei Stunden Spielzeit, als die ersten schon nicht mehr sitzen können, bedanken sich die Schauspieler für den Applaus und erklären, dass sie heute eigentlich den Applaus abbrechen und auf die dramatische Lage in Syrien hinweisen wollten. Dann kam am Vortag Berlin hinzu und man sieht echte Betroffenheit und Ohnmacht sprechen. Eine Lösung kann natürlich niemand anbieten. Aber das Theater als Ort der Begegnung, das Theater als Ort der Kommunikation, das Theater kann seinen Beitrag leisten, dass Menschen im Gespräch bleiben – bei aller Ohnmacht.

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