Jede(r) hat seine eigene Geschichte

Das Ensemble von Cactus+. (Foto: Roland Emmerich)
Das Ensemble von Cactus+. (Foto: Roland Emmerich)

Schultische stehen auf der Bühne, beschmiert mit den üblichen Kritzeleien, auch ein bisschen Lokalkolorit: „SC Preussen Münster“. Genervt und völlig desinteressiert schlendert Achterkamp, auf einem Halm kauend in diese Klassenraumszene. Nach und nach gesellen sich noch weitere Schülerinnen und Schüler dazu. „Wenn Du aufwächst, stirbt Dein Herz, sagt Johanna“ heißt die erste Inszenierung von Mareike Fiege im Rahmen von Cactus+, die gestern Abend Premiere feierte.

Unterschiedliche Charaktere werden schon beim Betreten der Bühne deutlich, da ist noch nicht ein Wort gesprochen. Natürlich sind die Personen etwas überzeichnet – so  muss es sein. Neben dem provozierend langsamen Achterkamp, ist es Betti, die ein Streber-Image transportiert, akkurat gekleidet, gefaltete Hände, ordentlich gestapelte Materialien. Clarissa im ultrakurzen Kleidchen mit üppiger Oberweite spielt die Tochter wohlhabender Eltern, Andre den Sportsmann, der über den Dingen steht und Johanna wirkt unbeteiligt, als lebte sie in einer ganz eigener Welt. Dieses illustre Quintett muss an einem eigentlich unterrichtsfreien Samstag nachsitzen.

Kein Mensch braucht Lehrer wie "Vohlmann" (li.). (Foto: Roland Emmerich)
Kein Mensch braucht Lehrer wie „Vohlmann“ (li.). (Foto: Roland Emmerich)

Mit Lehrer Vohlmann hat Mareike Fiege genau den Typus Lehrer gezeichnet, den man sich nicht wünscht, nicht für sich selbst, nicht für die eigenen Kinder. Lederjacke tragend, Statussymbole hervorhebend, rechthaberisch. Ein Typ, der nicht nur eine komplett andere Sprache spricht, sondern sich auch nicht die Mühe macht, seine Schüler zu verstehen oder zumindest mit ihnen zu kommunizieren. Den Kontrapunkt bildet Karl, der Hausmeister, der in sich selbst zu ruhen scheint und dessen innerer Kompass auch intakt wirkt. Als Lehrer Vohlmann ihn nämlich zum Getränke holen schickt, gibt er ihm gönnerhaft zu viel Geld mit der Bemerkung, den Rest könne er behalten. Karl kauft von dem überschüssigen Betrag Schokoriegel für die Schüler.

Die Schüler selbst sollen einen Aufsatz schreiben zu dem Thema: „Was es heißt, erwachsen zu werden.“ Natürlich sind sie davon genervt, doch nach und nach entspinnen sich die Geschichten der jungen Menschen. Geschichten von Überforderung, Gewalt, Sex und Drogen. Manches dient manchem vielleicht zur Erklärung. Das bedeutet jedoch lange noch nicht, dass es geklärt wäre. Überhaupt scheint der Weg vorgezeichnet: Tatsächlich wird man so wie die eigenen Eltern, denn „Wenn Du aufwächst, stirbt Dein Herz“, sagt zumindest Johanna.

Ein gelungenes Debüt mit jungen Schauspielern, die ihr (junges) Publikum überzeugen, nicht nur mit witzigen Dialogen, sondern auch mit Spielfreude und Esprit. Nicht zu unrecht bedankte sich das Auditorium mit Standing Ovations.

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