Das Warschauer Ghetto in der Waldorfschule

Der Chor singt noch unbekümmert vom Sommer 1940. (Foto: bk)
Der Chor singt noch unbekümmert vom Sommer 1940. (Foto: bk)

Allein beim Namen „Warschauer Ghetto“ bekommt man Gänsehaut. Von dort aus sind Züge mit polnischen und deutschen Juden ins Vernichtungslager Treblinka gefahren. Können Menschen dort noch ans Singen, Tanzen, Theaterspielen denken? Das Freie Musical-Ensemble unter der Leitung von Ingo Budweg hat gestern Abend im Konzertsaal der Waldorfschule eine berauschende Premiere von „Imagine this“gezeigt.

Pünktlich zum Beginn fängt es an zu regnen, während in einer langen Schlange die Besucher auf Einlass warten. So groß ist das Interesse, dass die Veranstaltung mit einer kleinen Verzögerung beginnt. Als die Musiker in abgewetzter Kleidung, mit Judenstern auf der Armbinde schließlich zu spielen beginnen, befindet sich der gesamte Saal in den letzten Sommertagen des Jahres 1940. Das Orchester auf dem Boden vor der Bühne verfügt nur über ein Minimum an Licht, das gerade zum Lesen der Noten reicht. Eine einzelne Sopran-Stimme sorgt für eine schaurig-schöne Atmosphäre. Die Musik steigert sich, das Licht wird heller.

Familie Warshowsky genießt, wie viele andere polnische Juden, unbekümmert das Leben. Doch schnell wird alles anders. Nazi-Deutschland hat sich Warschau als gigantisches Sammellager ausgesucht. Man hört Flugzeuglärm, die ersten SS-Schergen betreten mit Maschinenpistole im Anschlag die Bühne, Schüsse fallen, Schreie. Daniel Warshowsky studiert mit seiner Familie und anderen Juden das Stück „Masada“ein. „Sie werden es lieben, am Ende sterben viele Juden“, sagt Daniel zur SS. Masada bedeutet übersetzt Festung. Es geht um Jerusalem im römischen Reich,  um Juden, die flüchten und sich widersetzen. „Masada“ und „Imagine this“ vermischen sich, ein Stück im Stück, doch immer behält der Zuschauer die Übersicht. Das liegt auch an den grandiosen Kostümen, eben Kleider wie sie damals getragen wurden, Faltenröcke, gedämpftes Blümchenmuster, Hüte, Schweinslederkoffer. Und dann eben die römischen Legionäre in Uniformen, Cäsar mit Bettlaken, Holzschwerter.

Zwischendurch wird es dunkel im Orchestergraben, es singt ein grandioser Chor auf einer Empore im Bühnenrücken. Daniel Warshowsky erzählt immer wieder Judenwitze, Witze wie den: „Ein Junge kommt nach Hause und erzählt seiner Mutter stolz, dass er jetzt beim Schultheater mitspiele, er sei der jüdische Ehemann. Woraufhin seine Mutter rot anläuft und erklärt: Du gehst sofort zurück und sagst, dass Du eine Sprechrolle willst.“ Das Stück „Imagine this“ – im Original von Shuki Levy – hat Ingo Budweg ins Deutsche übersetzt. Zwischendurch wird aber auch hebräisch gesungen.

Ein grandioses Spektakel, das den Besuchern auch Sitzfleisch und allgemein gute Konstitution abverlangt. Immerhin erstreckt sich der Abend über mehr als vier Stunden. Besondere Lichteffekte wie Spiegelungen auf den Kostümen, rotes Licht als Jerusalem brennt, gespenstisch-fahles Licht bei Luftangriffen, eine exzellente Tonübertragung der Stimmen bis in die hintersten Winkel des Saales machen den Abend perfekt. Langanhaltender Applaus. Da hat sich sogar der Regen verkrochen.

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