Adieu Raketencafé – ein persönlicher Abschied vom langjährigen Lieblingslokal

Suff Ahoi, die Rakete fliegt an einen besseren Ort!" hieß es am Freitag, als DJs wie Nervous Norbert und der Erdbeerschorsch zum letzten Mal im Raketencafé aufgelegt haben. (Foto: Matthias Kasig)
Suff Ahoi, die Rakete fliegt an einen besseren Ort!“ hieß es am Freitag, als DJs wie Nervous Norbert und der Erdbeerschorsch zum letzten Mal im Raketencafé aufgelegt haben. (Foto: Matthias Kasig)

Mit zwei langen Nächten, riesigen Mengen von Bier, Schnäpsen und Cocktails und gleich einer ganzen Handvoll von DJs haben hunderte von Kneipengängern an diesem Wochenende das Ende des Raketencafés.. äh, ja: was eigentlich: betrauert? Nein, das Wort passt überhaupt nicht zu den beiden Abenden. Es war eher Partystimmung, höchstens hier und dort mit ein bisschen Wehmut gepaart. Am Freitag war ich als Gast und in der allerletzten Nacht als DJ dabei, jedenfalls nicht als neutraler Beobachter. Deshalb gibt es hier auch keinen sachlichen Bericht, keine Reportage oder sonstwas, sondern meinen ganz persönlichen Rückblick.

Meine Erinnerungen an die ersten Wochen dieser kleinen Kneipe „Raketencafé“ im Hansaviertel sind allerdings sehr verschwommen. Muss wohl an den Flaschenbieren oder dem einen oder anderen Long Island Iced Tea liegen. Anfangs wurde noch viel herumexperimentiert. Ob Frühstücksangebote für die Schüler der nahen Hansaschule oder ein Plattenladen im Hinterzimmer – schnell war klar, dass daraus nichts wird. Aber die von Jörn Müller liebevoll gestaltete Einrichtung hat allen gleich gefallen. Heute stellen sich viele Gastwirte alte Möbel aus Omas Zeiten in ihre Läden, 1999 war das wenigstens in Münster noch ungewöhnlich. Weil aus Café ganz schnell Kneipe wurde, haben die ersten Sessel, Lampen und Spiegel nicht lange überlebt. Es war auch so etwas wie ein Testbetrieb: Möbel, die hier lange gehalten haben, könnten wahrscheinlich in jedem Lokal bestehen.

In den ersten Monaten lagen auch noch tolle Gimmicks herum: View-Master mit winzigen Dias aus Serien wie „Daktari“ oder alte Perry Rhodan-Hefte. Die waren bald verknickt oder verklebt. Die Filmplakate aus den 60er Jahren waren da in ihren Bilderrahmen sicherer verwahrt. Und wurden von Doc Müller regelmäßig ausgetauscht: ob Schlagerfilme, Softpornos, Edgar Wallace oder italienische Gruselkrimis – Hauptsache, nicht besonders wertvoll, sondern trashig. Das galt natürlich auch für die vielen, manchmal unglaublich schlechten Filme, die schon so ziemlich von Beginn an über viele Fernsehgeräte aus den 70er Jahren liefen, die in allen Ecken herumstanden, vor allem auf den Fensterbänken. Filme wie „Barbarella“, „Die Satansweiber von Tittfield“ oder die „Batman“-Fernsehserie aus den 60ern habe ich wohl unzählige Male ohne Ton gesehen, wenn ich vergessen hatte, sie zu ignorieren. Das lief damals alles von VHS-Kassetten. Und die Musik natürlich von Schallplatten. Der Plattenspieler stand einfach mitten im Raum, die LPs wurden entweder von den Thekenkräften oder von den Gästen umgedreht. Das ging natürlich nur unter der Woche, wenn nicht ganz so viel los war. Seien es Schallplatten, Möbel oder Deko-Material, Jörn Müller hat damals unglaubliche Schätze aus seiner persönlichen Sammlung hinein getragen, es hieß ja schließlich „Doc Müllers Raketencafé“. „Wir gehen zu Doc Müllers,“ haben viele noch jahrelang gesagt, als er schon längst nichts mehr mit dem Lokal am Hut hatte.

Hier hat auch DJ Liftboy jahrelang seine Schallplatten zum Auflegen abgestellt. Im Artikel hält er seine persönliche Rückschau. (Foto: Matthias Kasig)
Hier hat auch DJ Liftboy jahrelang seine Schallplatten zum Auflegen abgestellt. Im Artikel hält er seine persönliche Rückschau. (Foto: Matthias Kasig)

Für viele war das Raketencafé so etwas wie ein zweites Wohnzimmer. Für mich auch. Und immer wieder hab ich dort Menschen kennengelernt, die zu Freunden geworden sind, egal ob Stammgäste, Thekenkräfte oder DJs. Irgendwann hab ich angefangen, selbst dort aufzulegen. Ich hab meine Veranstaltung „Apollo 66“ eine „musikalische Zeitreise in die Zeit zwischen Sputnikflug und Mondlandung“ genannt, um all die Musik unterzubringen, die nach meiner Meinung am besten in den Laden passte: Easy, Beat, Swing, Soul, Latin und etwas Rock’n’Roll. Natürlich nur von Vinyl, was anderes wäre mir nie in den Sinn gekommen. Überhaupt hat es erst im Raktencafé angefangen, dass DJs in Kneipen auflegen, in denen gar nicht getanzt wird. Sicherlich ein wesentlicher Beitrag zur Kultur in dieser Stadt.

An diesem Wochenende hatte Johannes Schmanck also zum letzten Mal die Türen zu seinem Lokal geöffnet, das die Keimzelle der Living Rooms GmbH war, zu der auch die Watusi-Bar, die Bohème Boulette und das Amp gehören. Und nicht nur viele Gäste aus den 17 Jahren des Raketencafés waren gekommen, sondern auch ein paar von den DJs. Am Freitag gab es unter dem großartigen Titel „Suff Ahoi, die Rakete fliegt an einen besseren Ort!“ alles mögliche von Punk bis Soul mit den DJs Senor Elson, Erdbeerschorsch, Nervous Norbert und Ole Rompom. Und am Samstag durfte ich dann selbst mit den Urgesteinen Fonzarelli und Don Staccato an die Plattenteller. Tommy Naber und Markus Schmauck standen daran nämlich schon in den ersten Tagen nach der Eröffnung 1999 und waren neben Ringo Klem wahrscheinlich die ersten regelmäßigen DJs dort. So ganz genau können sie sich aber nicht erinnern. Darum ging es jetzt auch nicht, sondern darum, ein letztes Mal so richtig Party zu machen in der Rakete. Ich glaube, das ist uns allen gelungen. Der Laden war den ganzen Abend, nein, die ganze Nacht über gut gefüllt, besonders als nach Mitternacht das zum Rauchen und Quatschen draußen herumstehen stark eingeschränkt werden musste. Sowas erzeugt nämlich Unmut bei den Nachbarn, und hier könnte auch der Grund zu finden sein, warum der Pachtvertrag nicht verlängert wurde.

Gezählt hat sie keiner, aber durch das ständige Kommen und Gehen haben es an diesem Wochenende sicher viele hundert Kneipengänger geschafft, ein letztes Mal das Raketencafé zu besuchen. Und ein paar von ihnen waren so ausdauernd wie wir DJs und sind bis zum Morgengrauen geblieben. Es war jedenfalls schon verdammt hell draußen, als Markus und ich unsere letzten beiden Platten auflegten: „Was hab ich dir getan?“ von den Jakob Sisters und schließlich „You Can’t Put Your Arms Around a Memory“ von Johnny Thunders. Nur für den Schluss hatten wir uns etwas Wehmütiges erlaubt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert